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Das Kind der Stürme

Das Kind der Stürme

Titel: Das Kind der Stürme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Marillier
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auf ihm, alle bis auf den Blick eines einzigen Mannes. Eamonn stand an der Seite, flankiert von seinen grün gekleideten Wachen. Ein seltsames Lächeln lag auf seinen Zügen, die selbstzufriedene Miene einer Katze, die die Maus noch lebendig, aber schon hilflos in den Klauen hält. Die Menge beobachtete Conor, als er sich nun vorbeugte, um zu studieren, wie die weissagenden Hölzer gefallen waren. Aber Eamonn sah mich an. Ich trat unbehaglich von einem Fuß auf den anderen und fragte mich, wie er hatte erraten können, dass ich in Gestalt einer Taube anwesend war. Ich beugte den Kopf, um nervös mein Gefieder zurechtzuzupfen, breitete einen Flügel aus und faltete ihn wieder, wie ich es bei dieser zerzausten Eule gesehen hatte. Ich versuchte so auszusehen wie jeder andere Vogel, der an einem schönen Morgen seinen Angelegenheiten nachgeht. Eamonns Lächeln wurde breiter; er nickte knapp, ohne den Blick von mir weichen zu lassen. Ich erinnerte mich daran, wie er sich in Sevenwaters verhalten hatte, stets der Beobachter, als müsste er die Teile eines Puzzlespiels zusammenführen, um zu entdecken, was sich zu seinem Vorteil erweisen könnte. Ich hätte nicht geglaubt, dass er dieses Geheimnis lüften würde, aber ich hatte ihn offenbar wieder einmal unterschätzt.
    Das Schweigen erstreckte sich lange, während Conor reglos vor den Hölzern hockte. Es hätte eine schlichte Angelegenheit sein sollen, denn wir brauchten nur die Antwort auf eine einzige Frage: Sollten die Männer jetzt schon aufbrechen oder noch warten? Aber der Erzdruide war sehr bleich geworden, und ein paar Falten zeigten sich auf seiner alterslosen Stirn. Die Männer begannen unruhig zu werden. Warum sagte der Bursche nicht, was er gesehen hatte? Gab es schlechte Vorzeichen, weil er nicht aufstand und sprach?
    Conor hob den Kopf und sah seinen Bruder an. Finbars Angst war für mich deutlich wahrzunehmen, als er langsam zu dem Druiden ging, eine hoch aufgerichtete, schlanke Gestalt in seinem abgetragenen Gewand und dem geflickten Umhang, der schneeweiße Flügel an seiner Seite im hellen Licht dieses Frühlingsmorgens für alle deutlich zu sehen. Ein paar Männer schnappten verdutzt nach Luft, ein paar überraschte Rufe waren zu hören und schnell unterdrückt. Ich sah, wie ein Mann sich bekreuzigte. Irgendwo bellte ein Hund, und Finbar erstarrte einen Augenblick. Ich spürte das Entsetzen, das ihn durchzuckte, als wäre es mein eigenes; auch ich war zum Teil wildes Geschöpf, bis ich mich wieder zurückverwandeln würde. Aber Finbar konnte sich nicht verändern. Sei stark, dachte ich. Sei stark, wie du es früher einmal warst.
    Wieder bewegte sich Finbar nun, hockte sich an die Seite seines Bruders. Die beiden Männer studierten das Muster der Coelbrens genau. Keiner sagte ein Wort. Vielleicht brauchten sie das nicht. Das Schweigen dauerte weiter an, und die versammelten Krieger begannen wieder unruhig zu werden.
    »Sagt es uns.« Es war Sean von Sevenwaters, der das Schweigen brach. Mit ruhiger Stimme fragte er: »Was sind die Vorzeichen? Ist die Göttin unserem Unternehmen hold?«
    »Komm schon, Mann, heraus damit.« Der Anführer der Uí Néill mochte zwar Christ sein, aber er wusste ganz genau, dass der Zeitpunkt des Angriffs von dieser Sache abhing, denn jene, die den Feldzug führten, würden nichts unternehmen, solange die Zeichen nicht günstig waren.
    Conor richtete sich auf, seine Züge ernst, aber ruhig. Es kam mir so vor, als hielte er nur mit großer Willenskraft diese gelassene Maske aufrecht; darunter lagen gewaltige Befürchtungen. Sein weißes Gewand legte sich in Falten um ihn, Falten voller Schatten, selbst im hellen Sonnenlicht.
    »Ich werde die Wahrheit sagen«, verkündete er mit einer Stimme, die nicht laut wirkte und dennoch irgendwie auch in der letzten Ecke der Versammlung zu hören war. »Die Vorzeichen sind nicht alle gut. Es gibt etwas Dunkles hier, eine Finsternis, die über dem Weg unseres Feldzugs liegt und das vollständige Muster verbirgt. Es ist, als wären sich selbst die großen Mächte der Anderwelt nicht sicher, wie es weitergehen wird. Dennoch, in einer Hinsicht ist die Botschaft eindeutig. Wir müssen jetzt beginnen und dürfen nicht mehr zögern. Im Morgengrauen des nächsten Tages wird unsere Flotte die Ufer der Inseln berühren, und bevor die Sonne untergeht wird das Land rot sein vom Blut jener, die gewagt haben, Fuß auf unseren heiligen Boden zu setzen. Wir werden sie vertreiben oder sehen, wie sie unter

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