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Das Kind der Stürme

Das Kind der Stürme

Titel: Das Kind der Stürme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Marillier
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habt die Kraft und den Willen. Und möge die Hand der Göttin uns leiten.«
    Niemand antwortete, aber die Ruderer packten fester zu und schienen sich zu sammeln, und dann tauchten sie so plötzlich, dass ich beinahe zusammengezuckt wäre, die Ruder tief ein, und das Boot raste auf die messerscharfen Felsen zu, die die hohe, steile Insel umgaben, es schoss vorwärts, schneller, als es die Anstrengung reiner Menschen treiben könnte. Eine gewaltige Strömung hatte es erfasst, und nun verschwand es in leerer Finsternis, wo nur noch die wirbelnde, schäumende Oberfläche des Wassers zu sehen war; das einzige Geräusch war endloses, hungriges Tosen. Einen Augenblick lang flatterte ich panikerfüllt und hilflos über dem wilden Wasser. Sicher hatte das Meer Boot und Männer verschlungen und würde sie nur in einem Wirbel aus Holz- und Knochensplittern wieder ausspucken. Niemand konnte einen solchen Kessel kochender Macht überleben. Sie waren weg. Ich war allein in der Nacht. Ich hatte einmal Angst gehabt, mich im ruhigen Wasser eines kleinen Sees zu waschen, hatte befürchtet, ich könnte hineinrutschen und untergehen. Nun kochte und brodelte unter mir das Meer. Hinter mir erstreckten sich lange, leere Meilen bis zum Lager, und da ich niemandem folgen konnte, wie sollte ich den Weg zurückfinden? Vor mir lag der unmögliche Kanal; der Geheimweg zum Ankerplatz der Briten. Kein Wunder, dass ihn bis jetzt niemand benutzt hatte. Er war unpassierbar. Der Versuch, es zu tun, schien dumm zu sein, aber Johnny war nicht dumm. Der Hauptmann war kein Dummkopf. Und irgendwo da drunten war Darragh, der nun nicht mehr für mich da sein würde. Irgendwo da drunten war ein Mann mit einem scharfen Messer im Gürtel und Mord im Sinn. Mit einem lautlosen Flehen zu Manannán sammelte ich all meine Kraft und flog ihnen hinterher, direkt über den wilden Mahlstrom hinweg und weiter zum offenen Wasser dahinter.
    Das Boot war dort, hatte den schmalen Kanal schon hinter sich gelassen, und die Männer mit den dunklen Kapuzen glitten bereits über die Seite in die kalte Umarmung des Meeres. Weiter entfernt waren größere Inseln zu sehen, ragten auf wie Meeresgeschöpfe mit breitem Rücken. Irgendwo in einer geschützten Bucht in der Nähe lag die Flotte der Briten vor Anker. Irgendwo auf diesen grasbewachsenen Abhängen beherbergte das Lager von Northwoods ein starkes Kontingent kriegserfahrener Kämpfer. Es würde Bogenschützen in den Türmen geben, Wachen am Rand des Lagers. Diese Schwimmer wagten sich nun tief ins Herz verbotenen Territoriums. Ich konnte ihnen nicht folgen; ich durfte nichts tun, um die Aufmerksamkeit auf sie zu lenken. Außerdem war ich müde und konnte nicht mehr. Widerstrebend flatterte ich schließlich nach unten und ließ mich im Boot nieder.
    Die Ruderer saßen still da. Sie hielten das kleine Boot an Ort und Stelle.
    »Du schon wieder«, flüsterte Waerfrith, der das Ruder hielt, das mir am nächsten war.
    »Was?«, zischte Godric.
    »Der Vogel des Druiden«, sagte Waerfrith. »Die kleine Freundin des Hausierers. Sie ist immer noch bei uns. Ein gutes Vorzeichen. Hoffnung.«
    »Sie brauchen alle guten Vorzeichen, die sie haben können«, stellte ein anderer fest. »Die Zeit ist knapp. Rein, die Arbeit erledigen, wieder raus und im Morgengrauen das Signal geben, um die Flotte herzurufen. Das lässt nicht viel Zeit für Fehler.«
    »Johnny macht keine Fehler.« Godric klang selbstsicher, obwohl er nur leise flüsterte. »Sie werden rechtzeitig zurückkommen. Ein dreifacher Schlag gegen Northwoods: erst die Boote, dann der Angriff von dieser Seite, von der ihn keiner erwartet. Und als drittes unser Pakt mit den Nordmännern. Das werden sie nicht erwarten.«
    »Haakons Unterstützung verdanken sie ausschließlich dem Hauptmann«, erklärte Waerfrith. »Es zeigt sich mal wieder, dass es gut ist, wenn jemand darauf zurückgreifen kann, dass einem einer einen Gefallen schuldet.«
    »Still«, sagte ein anderer. Und dann schwiegen sie wieder.
    Die Zeit verging. Es war sehr kalt unter dem Frühlingsmond. Ich plusterte mein Gefieder auf, aber der Wind blies immer noch. Die jungen Krieger warteten, ohne sich zu beschweren. So etwas gehörte zu ihrer langen Ausbildung, die Disziplin war Teil ihres Lebens. Ich verstand das gut, denn ich erinnerte mich an den Winter in der Honigwabe. Es wurde immer noch kälter. Ich dachte an die Männer im Wasser. Wenn ich an den eisigen Griff des Meeres dachte, an Northwoods' wachsame Leute und an

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