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Das Kind der Stürme

Das Kind der Stürme

Titel: Das Kind der Stürme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Marillier
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Männer erzählten eine Geschichte, die mir beinahe das Herz zerriss – Waerfrith war verwundet worden; ein Pfeil hatte ihn im Bauch getroffen, und Godric hatte seinen Kameraden auf dem Rücken den ganzen Weg vom Nordkamm quer über das Schlachtfeld getragen. Als sie die Bucht und die Sicherheit beinahe erreicht hatten, war ihnen ein britischer Krieger entgegengetreten. Godric, unter dem Gewicht seines Freundes taumelnd, hatte nicht rechtzeitig ausweichen und auch nicht fliehen können, und er hatte sich geweigert, den Verwundeten fallen zu lassen, um sich selbst zu retten. Das Schwert des Briten hatte ihn in die Brust getroffen, und er lebte noch lange genug, um zu sehen, wie der Feind seinem Freund lässig die Kehle durchschnitt. So waren die beiden zusammen gestorben; für immer würden sie ihren Kameraden jung und lachend in Erinnerung bleiben, furchtlos und mit blitzenden Augen. Heute waren diese beiden gefallen und noch so viele andere. Morgen könnte es Gareth sein oder Corentin. Es könnte Darragh sein. Generationen von Männern waren für diese Insel gestorben; die Brüder von Finbar und Conor, die Brüder ihres Vaters, der seltsamerweise mein eigener Großvater gewesen war. Das da waren meine Leute, aber auch die auf der anderen Seite, denn ich stammte sowohl von der Familie von Harrowfield als auch von der von Sevenwaters ab, und Harrowfield war mit Northwoods verwandt. Ich flog durch die Nacht, ohne noch auf Gefahren zu achten, und landete schließlich auf der Mauer der britischen Festung. Und dort, nicht weit entfernt, hockte ein großer, dunkler Vogel, den kalten Blick auf mich gerichtet.
    Ich bemerkte, dass ich keine Angst mehr vor Fiacha hatte. Angst schien plötzlich eine Kraftverschwendung. Großmutter hatte gesiegt, und ich war jetzt machtlos. Es gab sicher nichts anderes mehr zu tun, als zuzusehen und zu trauern, und ich wunderte mich nur, dass Lady Oonagh nun, da ihr der Sieg gewiss war, noch nicht erschienen war, um zu triumphieren. Also setzte ich mich still neben den Raben auf die Mauer und schaute hinab in Northwoods' Lager. Ich hörte sie reden; ich sah sie trauern. Sie hatten viele Tote und noch mehr Verwundete zu beklagen. Und sie hatten noch ein weiteres Problem. Dieser Außenposten hatte lange für so sicher gegolten, dass ein paar Männer ihre Frauen und Kinder hierher geholt hatten; es gab eine regelrechte kleine Siedlung. Nun standen ihre Anführer unruhig ums Feuer herum und mussten eine schreckliche Entscheidung treffen. Wenn diese irischen Wilden siegen und in die Festung eindringen würden, was würde aus den Frauen werden? Sie würden wahrscheinlich schon morgen einen Punkt erreichen, an dem sie entscheiden mussten, ob sie ihre Frauen töten oder sie der Gnade der Eindringlinge überlassen würden. Es wäre vielleicht am besten, die Frauen selbst zu bewaffnen und sich darauf zu verlassen, dass sie genügend Willensstärke hatten, sich den Dolch in die eigene Brust oder die ihrer Kinder zu stoßen, bevor sie Opfer von Vergewaltigung, Folter und Sklaverei werden konnten. Diese Leute sprachen von den Männern meines Onkels, als wären sie Ungeheuer. Ich dachte an Johnny und seine Kameraden, diese strahlenden jungen Krieger. Ich dachte an den freundlichen, kompetenten Sean von Sevenwaters, den höflichen, lächelnden Möwe und an den Hauptmann, der vielleicht ein harter Mann war, aber stets um Gerechtigkeit bemüht. Es war wirklich nicht Recht: Die lange Fehde hatte ein Entsetzen hervorgebracht, das auf Unwissenheit und Missverständnissen beruhte. Begriffen diese grimmigen Briten denn nicht, dass Sevenwaters nichts weiter wollte, als dass man die Inseln in Ruhe ließ? Begriff denn keiner von ihnen mehr, worum es überhaupt ging?
    Ich dachte daran, wegzufliegen, irgendwo Unterschlupf zu suchen und schlaflos Wache zu halten bis zum blutroten Morgengrauen, aber Fiacha schien etwas zu beobachten. Seine Haltung bewirkte, dass ich blieb, wo ich war, und auf Edwin von Northwoods, einen breitschultrigen jungen Mann, der offenbar sein Sohn war, und vier oder fünf andere hinabschaute. Einer der Anwesenden war ein christlicher Priester mit Tonsur und Amtsgewand, der ein Kreuz um den Hals trug. Einer war graubärtig und gebeugt und viel zu alt für einen solch gefährlichen Ort. Es schien, dass sie inzwischen zu einem Entschluss gekommen waren. Die Frauen würden bei Bruder Jerome im Turm bleiben. Man würde ihnen Messer geben. Wenn es notwendig würde, würden sie ihre eigene Entscheidung

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