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Das Kind der Stürme

Das Kind der Stürme

Titel: Das Kind der Stürme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Marillier
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Hauptteil der Flotte sich direkt auf die größere Landmasse zu bewegte, wo die Schiffe der Briten nun unter der Meeresoberfläche lagen und wo vermutlich die Leiche meines Vetters trieb, irgendwo in den Armen von Manannán mac Lir. Unser eigenes Boot wendete und folgte ihnen. Godric und Waerfrith nahmen die Waffen aus einem Versteck am Bug, Schwerter und Dolche, Äxte und Messer und lederne Helme; alle waren bereit, ihren Platz einzunehmen, selbst jene, die die Nacht im Wasser verbracht hatten. Für sie gab es auch trockene Kleidung; ein Mann konnte nicht kämpfen, wenn er von der Kälte betäubt war. Ich sah, wie Darragh einen Helm über sein dunkles Haar stülpte und einen Schwertgürtel umschnallte. Dann breitete ich meine Flügel aus und flatterte davon, denn das Herz einer Schlacht ist kein Ort für eine Frau und auch kein Ort für einen Vogel, der nicht größer ist als die geballte Faust eines Mannes.
    Ich beschwor die Kraft meines wahren Ichs herauf und flog zur größeren Insel, ohne auf Seeadler, Falken oder menschliche Raubtiere zu achten, denn es kam mir nun so vor, als hätte es nichts mehr mit Angst und mit Trauer zu tun, wenn der große Kampf weiterging und die Fahne von Sevenwaters mutig erhoben wurde, obwohl das ganze Unternehmen doch zum Untergang verurteilt war, bevor es begann. Wenn das Kind der Prophezeiung tot war, würde das Ziel des Feenvolks nie erreicht werden. Die Inseln waren verloren; die alten Wege würden in Vergessenheit geraten. Eine Prophezeiung war eine Prophezeiung. Die Männer würden angreifen und sterben, und die ganze Zeit würde Lady Oonagh höhnisch darüber lachen, dass das Blut dieser starken jungen Krieger sinnlos vergossen wurde. Ich konnte immer noch nicht glauben, dass sie so leicht gesiegt haben sollte. Dennoch, wie konnte es anders sein? Ich selbst war so unvorsichtig gewesen, das Geheimnis zu verraten, und damit hatte ich dafür gesorgt, dass sie siegte. Das durfte einfach nicht sein! Es konnte doch nicht alles umsonst gewesen sein!
    Die alten Geschichten erzählen von großen Schlachten: den Abenteuern von Helden wie Cú Chulainn, den kriegerischen Taten des Fionn mac Cumhaill und seiner gesetzlosen Bande. Sie erzählen von Kraft und Mut, von Triumph und Belohnung. Sie sprechen davon, die Feinde zu töten. Aber sie erzählen nicht von den Dingen, die ich an diesem Tag sah, als ich über die niedrigen, grasbewachsenen Hügel der größeren Insel flog. Ich sah, wie das helle Licht der Entschlossenheit in den Augen eines jungen Kriegers nacktem Entsetzen wich, bevor sein Gegner ihm mit der Axt den Kopf von den Schultern schlug. Ich sah Schlange, einen abgehärteten Veteranen, weinen, als er sich über den jungen Mikka beugte, der auf einem rot gefärbten Stück Strand lag, das Blut noch aus seinem abgetrennten Arm fließend; ich hörte den verstümmelten Jungen nach seiner Mutter rufen wie ein kleines Kind, das aus einem Albtraum erwacht. Schlanges Gesicht sah hager und alt aus, als er murmelte: »Ruh dich nun aus, Sohn, du hast tapfer gekämpft«, und sein Messer benutzte, um Mikka einen traumlosen Schlaf zu schenken. Es ging so plötzlich, dass mein Herz beinahe stehen blieb. Keine Geschichte kann den Blick in den Augen eines Mannes beschreiben, der sich danach wieder erhebt und in den Kampf stürzt, das blutige Messer noch in der Hand. Was Johnnys Leute anging, so schwangen sie ihre Waffen ebenso wie Bran von Harrowfield: Es schien ihnen gleich, ob sie überleben oder sterben würden. Solche Kämpfer sind wahrhaft Furcht erregend, und die Briten fielen angesichts des unirdischen Glitzerns in den Augen ihrer Gegner schnell zurück.
    Ich verlor Darragh aus dem Blickfeld. Er war irgendwo da draußen, mitten im Getümmel, aber die Kleidung beider Armeen war von Erde und Blut verschmiert, und alles war ein einziges Durcheinander. Die Kämpfer aus Sevenwaters hatten den Ankerplatz und die Westbucht gesichert; hier sah man Möwe, der laut Befehle gab, dort die schlaffen Gestalten der Toten und die gequälten Verwundeten, die man an eine Stelle brachte, wo es ein wenig ruhiger zuging. Nicht alle konnten in Sicherheit gebracht werden. Viele wurden getötet, und am Nachmittag schien es, als wäre der gesamte Boden der Insel mit den Leichen von Briten und Iren bedeckt, und das Wasser rund um die Insel war rot vom gemischten Blut dieser alten Feinde. Ich sah, wie der Erzdruide und sein Bruder, der Mann mit dem Schwanenflügel, von einem Verwundeten zum anderen gingen.

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