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Das Kind des Schattens

Titel: Das Kind des Schattens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guy Gavriel Kay
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schienen alle ineinander aufzugehen. Sie schaute zu ihm hoch, sah, was er in der Hand hielt, schwieg und beobachtete.
    Durch ihren Blickwinkel konnte sie ihn nur verkürzt sehen, dennoch erkannte sie seine durchsichtigen gemeißelten Gesichtszüge, seine langen blassen Haarlocken und den mächtigen schimmernden Speer, den er in seinen Händen wiegte. Auf einem Finger trug er einen Ring, und sie glaubte zu wissen, was es war.
    »Dann ist auch der Krieger hier?« fragte Amairgen, und es klang wie ein Atemzug aus einem mondbeschienenen Schilfrohr.
    »Ja«, bestätigte Pwyll und fügte nach einer Pause hinzu: »Auch Lancelot.«
    »Was!«
    Sogar in der Dunkelheit und von ihrem Platz aus sah Jaelle, dass seine Augen plötzlich wie Saphire in der Nacht funkelten. Seine Hände glitten über den Speer. Pwyll wartete ohne Eile, bis die Gestalt über ihnen die Bedeutung dieser Nachricht ermessen habe.
    Dann hörten sie Amairgen sehr förmlich fragen: »Welche Neuigkeit habt ihr für mich nach so langer Zeit?«
    Jaelle bemerkte mit Überraschung Tränen auf Pwylls Gesicht. Er beschied ihm sehr freundlich: »Neuigkeiten, die dir Ruhe bringen, unruhiger Geist, du bist gerächt, deine Besatzung ist erlöst worden. Der Seelenverkäufer Maugrims ist tot. Geh heim, Erster der Magier, Geliebter von Lisen. Segle zwischen den Sternen nach Hause an die Seite des Webers, nach all diesen Jahren sei dir Friede gewährt. Wir sind nach Cader Sedat gefahren und haben das Böse dort mit der Kraft deines Stabes vernichtet, ihn hat einer gehalten, der dir folgte: Loren Silbermantel, Erster Magier von Brennin. Was ich dir heute Nacht sage, ist wahr. Ich bin der Zweimal Geborene Mörnirs, Herr des Sommerbaums.«
    Nun ertönte ein Geräusch, das Jaelle in all ihren restlichen Tagen niemals mehr vergessen sollte. Es kam nicht von Amairgen, sondern schien eher aus dem Schiff selbst emporzusteigen, obwohl man dort niemand sehen konnte: ein hoher, scharfklagender Ton, der auf irgendeine Weise mit dem schmalen Mond im Westen verschwistert war, der schmerzvoll zwischen Ekstase und Gram schwebte. Mit einemmal bemerkte sie, dass tatsächlich noch weitere Geister zugegen waren, obwohl sie unsichtbar waren. Das Geisterschiff hatte eine Besatzung.
    Dann sprach Amairgen, das Geräusch seiner Seeleute übertönend, zu Pwyll: »Wenn das so ist, wenn das so geschehen ist, dann entlasse ich in Mörnirs Namen den Speer in deine Obhut. Aber um eines will ich dich bitten, eines brauche ich noch, bevor ich zur Ruhe komme. Noch ein Tod muss gerächt werden.«
    Zum ersten Mal sah sie, dass Pwyll zögerte. Sie wusste nicht, warum, etwas anderes jedoch wusste sie und sie fragte: »Galadan?« Sie hörte, wie Pwyll Luft holte und fühlte gleichzeitig die Saphiraugen dessen, der die Himmelsgeschichte gefunden hatte, die ihren fixieren. Sie nahm alle Willenskraft zusammen, um ihnen nicht auszuweichen.
    Seine Worte drangen in ihr Ohr: »Du bist weit von deinem Tempel und deiner durstigen Axt entfernt, Priesterin. Fürchtest du nicht das mörderische Meer?«
    »Ich fürchte den Entwirker mehr«, entgegnete sie und war erfreut, dass ihre Stimme stark und stetig klang. Das mörderische Meer, registrierte sie mit Trauer: Lisen. »Und ich hasse die Finsternis mehr, als ich irgendeinen der Magier, die dir gefolgt sind, gehasst habe. Ich spare mir meine Flüche für Maugrim auf und …« Sie schluckte. »… und ich werde nach dieser Nacht um deinen und Lisens Frieden zu Dana beten.« Wie Pwyll beendete sie ihre Rede rituell: »Was ich dir heute Nacht sage, ist wahr. Ich bin die Hohepriesterin der Göttin in Fionavar.«
    Was habe ich gesagt? dachte sie in versonnenem Staunen, hoffte jedoch, dass es nicht in ihren Augen aufscheine. Er blickte aus dem zerstörten Schiff ernst auf sie hinab, und sie konnte zum ersten Mal etwas in ihm sehen, was über Macht und Schmerz hinausging. Er war geliebt worden, erinnerte sie sich, und er hatte so sehr geliebt, dass es ihn über den Tod hinaus all diese Jahre hindurch in Gram und Kummer an diese Bucht gebunden hatte, wo Lisen gestorben war.
    Amairgen sprach über die Geräusche hinweg, die aus dem zerrissenen Bauch des Schiffes kamen, und sagte: »Ich werde für deine Gebete dankbar sein.«
    Dieselben Worte, dachte sie, die auch Pwyll vorher gesprochen hatte. Es schien ihr, dass dies eine Nacht außerhalb der Zeit geworden war, wo alles auf die eine oder andere Weise seine Bedeutung hatte.
    »Galadan«, wiederholte Amairgen. Das Klagen aus dem

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