Das Kind des Schattens
dunklen Schiff wurde jetzt lauter. Sie hörte sowohl Freude als auch Schmerz. Sie sah, wie der Mond durch das zerfallene Gebälk schien. Noch während sie beobachtete, löste es sich zusehends auf. »Galadan«, schrie Amairgen ein letztes Mal und blickte auf den Zweimal Geborenen hinab, während er sprach.
»Ich habe es geschworen«, bekräftigte Pwyll, und Jaelle hörte das erste Mal einen Zweifel in seiner Stimme. Sie sah, wie er Atem holte und seinen Kopf höher hob. »Ich habe geschworen, dass er mein ist«, wiederholte er, und diesmal klang es überzeugend. »So sei es«, echote Amairgens Geist. »Möge dein Faden niemals verloren gehen.« Er begann hinwegzuschwinden, und sie konnte einen Stern durch ihn hindurchscheinen sehen. Er hob den Speer und schickte sich an, ihn über die Reling zu ihnen hinunterzuwerfen.
Danas Reich endete am Meeresstrand, hier hatte sie keine Macht. Aber Jaelle war noch immer, was sie war, und während sie noch auf den dunklen Wellen stand, kam ihr ein Gedanke.
»Warte!« schrie sie scharf und klar in die gestirnte Nacht hinaus. »Amairgen, halt!«
Sie glaubte schon, dass es zu spät sei. Er war bereits so durchsichtig und das Schiff so flüchtig und verschwindend, dass sie den tiefstehenden Mond durch seine Planken hindurch sehen konnte. Das Klagen der unsichtbaren Seeleute schien von sehr ferne zu kommen.
Trotzdem kam er zurück. Er ließ den Speer nicht los und nahm unter ihren Augen wieder eine dichtere Form an. Das Schiff war still geworden und schwankte auf den sanften Wellen auf und ab.
Pwyll verharrte in Schweigen und wartete nur. Sie wusste, dass es nichts gab, was er sagen konnte. Er hatte getan, was er konnte, hatte das Schiff erkannt als das, was es war, hatte den Speer erkannt, hatte sich über die Wellen hinausgewagt, um diesen Speer zu fordern, und er hatte den Magier von seinem langen, qualvollen Segeln befreit. Er hatte ihm Botschaften von Rache, aber auch von Erlösung gebracht.
Was jetzt noch geschehen musste, war ihre Aufgabe, denn er konnte nicht wissen, was sie wusste.
Der kalte Geisterblick des Magiers fixierte sie. Er forderte sie auf: »Sprich, Priesterin, warum sollte ich für dich innehalten?«
»Weil ich dir eine Frage stellen will, und ich spreche nicht für Dana, sondern im Namen des Lichtes.« Plötzlich fürchtete sie sich vor ihrem eigenen Gedanken, vor dem, was sie von ihm wollte.
»Dann frage«, gebot Amairgen von hoch oben. Zu lange war sie Hohepriesterin gewesen, als dass sie selbst in diesem Augenblick so direkt hätte sein können. Sie sagte: »Du warst kurz davor, den Speer fallenzulassen. Hast du geglaubt, du könntest dich auf diese Weise so leicht von deiner Aufgabe befreien, um derentwillen du ihn tragen musstest?«
»Ja«, antwortete er, »indem ich ihn in eure Obhut für den Krieger in Fionavar gegeben hätte.«
Jaelle nahm ihren ganzen Mut zusammen und entgegnete kalt: »So nicht, Magier. Soll ich dir verraten, warum?«
In seinen Augen war Eis, sie waren kälter, als ihre eigenen jemals werden konnten, und wieder ertönte bei ihren Worten ein tiefes, unheilschwangeres Geräusch aus dem Schiff. Pwyll sagte nichts. Er hörte zu und balancierte neben ihr auf den Wellen.
»Nenne mir den Grund«, forderte Amairgen.
»Weil du den Speer dem Krieger zum Gebrauch gegen die Finsternis geben solltest, und nicht von den Kriegsschauplätzen wegtragen solltest.«
Aus dem mondbeschienenen Winter seines Todes schien der Gesichtsausdruck des Magiers beißend spöttisch. »Du argumentierst wie eine Priesterin«, murmelte er. »Es ist offensichtlich, dass sich in Gwen Ystrat nichts verändert hat, trotz all der Jahre, die vergangen sind.«
»Nicht so«, verbesserte Pwyll zu ihrer und des Magiers Überraschung ruhig. »Sie hat dir angeboten, für dich zu beten, Amairgen. Und wenn du uns deutlich sehen kannst, so wirst du wissen, dass sie um deinetwillen geweint hat, als sie sprach. Und du wirst erkennen, vielleicht besser als ich, welche Veränderung das anzeigt.«
Sie schluckte und fragte sich, ob sie wirklich gewollt hatte, dass er das sehen konnte. Aber es war keine Zeit, um darüber nachzudenken.
Statt dessen erhob sie wieder ihre Stimme: »Höre mich, Amairgen Weißast, von dem es lange hieß, dass er Rakoth Maugrim und die Legionen der Finsternis mehr als irgendein Mensch, der jemals gelebt hat, hasste. Gerade jetzt reitet der Großkönig von Brennin von Celidon aus zur Schlacht … Das jedenfalls glauben wir. Wieder führt er den
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