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Das Kind des Schattens

Titel: Das Kind des Schattens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guy Gavriel Kay
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Geborener Mörnirs, ob Kontrolle für dich wirklich so wichtig ist.«
    Bei diesen Worten fühlte er sich plötzlich auf eine Landstraße im Regen versetzt und er hörte, wie die Frau, die er liebte, ihm genau diese Kälte vorwarf, er hörte, dass sie ihn deshalb verlassen wolle, weil sie in ihm keinen Platz finden könne, wo sein Bedürfnis nach ihr wirklich zum Ausdruck käme. Ohne zu wissen, wie, war er plötzlich aufgestanden, und er bemerkte, dass er über der Priesterin am Meer stand. Wie es geschehen war, hatte er nicht wahrgenommen. Er sah an sich hinab, seine Hände waren zusammengekrampft. Und dann drehte er sich um und ging weg, nicht von der Wahrheit zwar, denn die ging mit ihm unter den Sternen, aber weg von den eisigen grünen Augen und der Stimme, die diese Wahrheit hier ausgesprochen hatte.
    Sie beobachtete, wie er sich entfernte und war überrascht, dass sie es bedauerte. Sie hatte ihn nicht verletzen wollen. Dana wusste, dass sie ihm durch viele Dinge, die sie ihm immer wieder gesagt hatte, Wunden zufügen wollte, nicht jedoch mit diesem letzten Satz. Sie hatte es freundlich gemeint, so freundlich sie es ihrem Wesen nach meinen konnte, und hatte statt dessen einen Ort gefunden, wo er offen und verletzlich war. Dieses Wissen sollte sie sich vielleicht für zukünftige Begegnungen bereithalten. Aber während sie auf dem Felsen saß und noch einmal darüber nachdachte, was sie beide gesprochen hatten, fiel es ihr schwer, solch kalte, kontrollierende Gedanken festzuhalten. Angesichts dieser Ironie lächelte sie ein wenig in sich hinein, wandte sich zum Meer … nur um ein Geisterschiff zu sehen, das zwischen ihr und dem untergehenden Mond auf dem Wasser fuhr.
    »Pwyll!« fast ohne Gedanken schrie sie seinen Namen hinaus. Sie sprang auf und ihr Herz pochte wild vor Schrecken und Schauder. Sie konnte ihre Augen nicht von diesem Schiff abwenden. Langsam bewegte es sich von Norden nach Süden, quer über ihre Blickrichtung, obwohl der Wind vom Westen wehte. Seine Segel waren zerfetzt und zerrissen und der niedrig stehende Mond schien mühelos durch sie hindurch. Er beleuchtete die abgebrochenen Masten, die zerschmetterte Galionsfigur, die zertrümmerte Erhebung auf dem Deck, wo sich die Ruderpinne befunden hatte. Tief unten am Wasserspiegel glaubte sie ein dunkles Loch in der Flanke des Schiffes sehen zu können, wo das Meer hereingeschossen sein musste.
    Auf keine Weise konnte dieses Schiff normal segeln.
    Sie hörte Pwylls schnelle Fußschritte, und dann war er wieder neben ihr. Sie wandte sich nicht um, sie verharrte in Schweigen. Aber sie nahm seine heftigen Atemzüge wahr und sprach ein innerliches Gebet der Erleichterung: Auch er sah das Schiff. Es war nicht das Phantom ihres eigenen Geistes, es war nicht das Vorspiel zum Wahnsinn.
    Plötzlich streckte er eine Hand aus und zeigte schweigend auf das Schiff. Sie folgte der Richtung seines Fingers. Vorne am Schiff an der Reling, die ihnen am nächsten war, stand ein Mensch, ein einsamer Seemann, und auch durch ihn schien der Mond hindurch.
    Er hielt etwas in seiner Hand hoch erhoben und streckte es über die Reling zu ihnen hin, und Jaelle sah, mit einem zweiten Aufwallen von Schauder, dass es ein Speer war.
    »Ich wäre dir für deine Gebete dankbar«, sagte Pwyll.
    Sie hörte einen Flügelschlag unsichtbarer Flügel. Sie blickte auf und dann schnell wieder zu ihm zurück. Er schritt von dem Felsen herab, auf dem sie standen.
    Und begann über die Wellen zum Schiff hinzugehen.
    Danas Machtbereich endete vor dem Meer. Und trotzdem, dachte Jaelle, die Hohepriesterin. Trotzdem. Sie schloss ihre Augen, um den ersten Schritt zu tun, sie wusste, sie würde sinken, aber sie folgte ihm.
    Sie ging nicht unter. Die Wellen benetzten kaum die Sandalen, die sie trug. Sie öffnete die Augen, sah, wie Pwyll zielstrebig vor ihr über das Wasser wandelte und beschleunigte ihren Schritt, um ihn einzuholen.
    Sie erntete einen verblüfften Blick, als sie ihn erreichte. »Vielleicht brauchst du mehr als Gebete«, sprach sie ihn kurz an. »Und Dana am Meer zu beschwören ist aussichtslos, das habe ich dir zuvor schon einmal gesagt.«
    »Ich erinnere mich«, bestätigte er und machte einen kleinen Schritt nach oben, um eine heranrollende Welle zu übersteigen. »Und das macht dich entweder sehr mutig oder wirklich sehr dumm. Oder vielleicht beides?«
    »Wenn es dir beliebt«, gab sie zurück und verbarg ein plötzliches Aufwallen des Vergnügens. »Es tut mir auch leid, dass

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