Das Kind des Schattens
Krieg zu Maugrim nach Andarien, wie es der Großkönig auch zu deiner Zeit getan hat. Wir müssen ebenso weit gehen wie das Heer, und wir sind zu Fuß. Weder der Krieger mit dem Speer noch irgendeiner von uns hier am Anor wird rechtzeitig dort ankommen. Wir haben drei, vielleicht sogar vier Tage Fußmarsch durch Sennett vor uns, bevor wir den Celyn überqueren können und nach Andarien gelangen.«
Es stimmte. Sie hatte es ebenso gewusst wie Diarmuid und Brendel. Aber sie hatten keine anderen Möglichkeiten, wenn sie einmal davon ausgingen, dass Aileron von der Schlacht, die ihm bei Celidon entgangen war, nach Norden reiten würde. Es blieb ihnen nur, so schnell und weit zu gehen, wie sie nur konnten, und zu beten.
Aber jetzt gab es vielleicht eine andere Möglichkeit, eine schreckliche zwar, aber die Zeiten waren schrecklich, und es schien, als sei es ihre Aufgabe, für die Lösung dieses Problems zu sorgen.
»Wenn das, was du mir sagst, wahr ist«, ließ sich der Geist vernehmen, »dann habt ihr allerdings einen Grund zur Furcht. Aber du wolltest etwas fragen. Deshalb bin ich geblieben. Sprich, denn Höflichkeit allein kann mich in dieser Stunde der Erlösung nicht mehr länger halten.«
Und so stellte sie ihre Frage: »Kann dein Schiff auch sterbliche Menschen tragen, Amairgen?«
Pwyll zog kurz und hörbar die Luft ein.
»Weißt du, worum du bittest?« fragte Amairgen ganz leise. Es war kalt auf den Wellen an der Breitseite dieses blassen Schiffes. Sie bekannte: »Ich glaube, ja.«
»Weißt du, dass wir jetzt erlöst sind? Dass die Nachricht vom Tod des Seelenverkäufers unsere Erlösung aus der Bindung an das Meer bedeutet? Und würdest du uns noch länger binden wollen?« Es war sehr schwierig geworden, aber sie fuhr fort: »Ich habe keine Macht, dich zu halten, Magier. Ich habe hier keine Macht, keine Kontrolle über dich. Ich habe eine Frage gestellt, und nichts weiter.« Sie bemerkte, dass sie zitterte.
Eine nicht enden wollende Zeitlang schwieg der Geist von Conarys Magier. Dann fragte er mit einer Stimme, die wie die Bewegung des Windes klang: »Würdet ihr mit den Toten segeln?«
Das mörderische Meer, dachte sie zum zweiten Mal. So fern von den Tempeln empfand sie eine marktiefe Angst in sich. Aber sie verbarg sie und schlug dann zurück.
»Könnten wir es denn?« fragte sie dagegen. »Wir sind fünfzig, und wir müssen in zwei Tagen von jetzt an an der Mündung des Celyn sein.«
Die Planken des Schiffes vor ihnen sahen schwarz und zersplittert aus. Auf der Höhe des Wasserspiegels klaffte ein riesiges Loch, in welches das Meerwasser hineinfloß.
Amairgen blickte hinab, und sein blasses Haar war von der nächtlichen Brise zerzaust. Er versprach: »Wir werden es tun. Eine Nacht, einen Tag und eine Nacht werden wir euch an den Cliffs von Rhudh zum Sennettstrand tragen und dann wieder hinab zu dem Ort, wo der Celyn ins Meer mündet. Ich will mir die Gebete, die du mir angeboten hast, verdienen, Hohepriesterin der Dana … und das Salz deiner Tränen.«
Im dünnen Mondlicht war es schwer zu erkennen, und sie stand weit unter ihm, dennoch schien ihr, als liege in seinem Lächeln eine gewisse Freundlichkeit.
»Wir können euch fahren, aber ihr werdet keinen von den Seeleuten zu Gesicht bekommen, und mich nur dann, wenn die Sterne am Himmel sind. Hinter euch ist eine Leiter, ihr könnt beide an Bord kommen, und wir werden das Schiff am Fuße des Anor für eure Gefährten vor Anker gehen lassen.«
»Aber die Bucht ist sehr seicht«, gab Pwyll zu bedenken. »Kannst du so nahe herankommen?«
Daraufhin warf Amairgen plötzlich seinen Kopf zurück und lachte hart und kalt in der Dunkelheit über dem Meer. »Zweimal Geborener des Mörnir«, rief er, »es sei dir klar, was zu tun du dich anschickst. Kein Meer ist zu seicht für dieses Schiff. Wir sind nicht hier. Auch du wirst nicht hier sein, wenn du auf diesem Deck stehst. Ich frage dich von neuem … möchtest du mit den Toten segeln?«
»Ich will«, bejahte Pwyll ruhig, »wenn es das ist, was wir tun müssen.«
Die beiden begaben sich am Schiff entlang zu einer Stelle, wo eine Strickleiter über die fast durchsichtige Planke des zerfallenen Schiffes herabhing. Sie blickten einander an und sagten nichts. Als erster ging Pwyll und vertraute sein Gewicht der Leiter an. Sie hielt, und er kletterte langsam nach oben, bis er schließlich auf dem Deck stand. Jaelle folgte ihm. Dafür, dass sie auf nichts und um nichts zu erreichen emporkletterte, schien
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