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Das Kind des Schattens

Titel: Das Kind des Schattens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guy Gavriel Kay
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doch zu Flidais’ Schrecken wurde es von neuem von Dariens Lachen gebrochen, ein bitteres, einsames, verlorenes Lachen. »Aber so ist es ja«, erwiderte der Junge. »Es ist alles Blendwerk. Das Licht ist ausgegangen, als ich das Diadem auf meine Stirn setzte. Weißt du das nicht? Und warum, warum sollte ich überhaupt gehen?«
    Ein Augenblick des Schweigens.
    »Nein!« schrie Flidais und streckte seine Hand nach dem Kind aus.
    Zu spät. Vielleicht war es immer schon zu spät gewesen: bereits bei der Geburt, bei der Empfängnis im Unlicht von Starkadh, seit der Zeit, als die Welten überhaupt erst gesponnen wurden, dachte Flidais kummervoll.
    Dariens Augen flammten wütend rot. Von den Mächten des Waldes kam ein brüllender Ton, die Gestalten im Hain verschwammen und plötzlich war Darien nicht mehr da.
    An seiner Seite schoss eine Eule, die in der Dunkelheit weiß schimmerte, ins Gras hinunter, ergriff den herabgefallenen Dolch mit dem Schnabel und war schon wieder in den Lüften, segelte in Richtung Norden aus dem Blickfeld.
    Nach Norden. Flidais blickte auf den Nachthimmel, der von den aufragenden Bäumen kreisförmig eingerahmt wurde, und mit seiner ganzen Seele versuchte er, eine Gestalt willentlich hierher zurückzubringen. Es war die Gestalt einer weißen Eule, die neben ihnen wieder landen würde und sich in ein Kind, ein schönes Kind mit sanften blauen Augen verwandeln würde, welches das Licht gewählt hatte, und vom Licht dazu ausersehen worden war, eine helle, strahlende Klinge in der bedrohlichen Finsternis zu sein.
    Er schluckte. Er wandte seinen Blick vom leeren Himmel ab. Er wandte sich zurück zu Lancelot, der bereits aufgestanden war, obwohl er blutete, verbrannt war und vor Müdigkeit schwankte. »Was tust du denn?« schrie Flidais.
    Lancelot blickte auf ihn nieder. »Ich folge ihm«, entgegnete er so ruhig, als ob es das natürlichste Ding der Welt sei. »Kannst du mir mein Schwert bringen?«
    »Bist du verrückt?« stammelte der Andain.
    Lancelot gab ein Geräusch von sich, das eine Art Lachen sein sollte. »Ich war verrückt«, gab er zu. »Aber das ist lange her. Jetzt nicht, mein Kleiner. Was soll ich deiner Meinung nach denn tun? Hier liegen bleiben und in einer Zeit des Krieges meine Wunden lecken?«
    Flidais tanzte geradezu umher vor Verzweiflung. »Welche Rolle kannst du denn spielen, wenn du dich umbringst?«
    »Es ist mir schon bewusst, dass ich im Augenblick nicht zu viel tauge«, schränkte Lancelot ernst ein, »aber ich glaube nicht, dass diese Wunden …«
    »Du möchtest ihm folgen?« unterbrach ihn der Andain, als ihm die ganze Bedeutung von Lancelots Worten aufging. »Lancelot, er ist jetzt eine Eule, er fliegt! Bevor du überhaupt erst aus Pendaran herauskommst, wird er schon …«
    Mitten im Satz hielt er jäh inne.
    »Was ist das? Woran hast du gedacht, kluges Kind?«
    Flidais war nicht lange Kind geblieben, aber er hatte tatsächlich an etwas gedacht. Er blickte zu Lancelot auf und sah das Blut auf seiner nackten Brust. »Er wollte doch nach Norden fliegen, aber da muss er erst den Westrand von Daniloth überqueren.«
    »Und?«
    »Und vielleicht kommt er nicht durch. Die Zeit ist sehr merkwürdig im Schattenland.«
    »Mein Schwert«, forderte Lancelot, »bitte.«
    So nahm Flidais widerstrebend die Klinge und dann die Scheide, kam damit zu Lancelot zurück und schnallte, so vorsichtig er konnte, das Schwert um Lancelots Hüfte.
    »Werden die Geister des Waldes mich passieren lassen?« fragte Lancelot ruhig.
    Flidais machte eine Pause und hörte den Botschaften zu, die um sie und unter ihnen umhergingen.
    »Ja«, versicherte er schließlich, ohne im geringsten überrascht zu sein. »Um Guinevere und deines Blutes willen, das du heute Nacht vergossen hast. Sie erweisen dir Ehre, Lancelot.«
    »Mehr als ich verdiene«, erwiderte er. Er holte tief Luft, als wolle er die Reserven seiner Ausdauer erweitern, aber woher er Kraft nahm, das wusste Flidais nicht.
    Er grollte zu Lancelot hinauf. »Mit einem Führer wirst du besser gehen können, ich bringe dich bis an die Grenzen von Daniloth, aber ich stelle eine Bedingung.«
    »Welche?« Immer die gleiche, sanfte Höflichkeit.
    »Eine meiner Wohnstätten liegt auf unserem Weg. Wenn wir dorthin kommen, musst du mir erlauben, deine Wunden zu verbinden.«
    »Ich werde dafür dankbar sein«, sagte Lancelot.
    Der Andain öffnete seinen Mund und hatte bereits eine schneidende Erwiderung bereit, aber er sprach sie nicht aus. Statt dessen

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