Das Kind des Schattens
Hand des Webers meinem Faden verliehen hat, habe ich lange genug gelebt, um sagen zu können, dass sich hier ein Muster entfaltet, dessen Symmetrie von der Verwobenheit aller Schicksale zeugt.«
Er hielt inne. Dann blickte er direkt auf Kim und sagte zu ihrer großen Überraschung: »Es sind zwei zugegen, die nicht zu unserem Volk gehören. Die Nachrichten kommen nur langsam über die Berge und noch langsamer in die Berge hinein, aber die Zwerge wissen sehr wohl von dem Magier Loren Silbermantel, dessen Quelle einst unser König war. Und Matt Sören hat diese Frau hier als Seherin des Großkönigs von Brennin zu erkennen gegeben. Er hat sich auch bereit erklärt, mit seinem Leben dafür einzustehen, dass diese beiden unsere Gesetze hier am Kristallsee achten, dass sie die Magie, deren sie fähig sind, nicht ausnützen und das Urteil der Ratsversammlung über diesen Zweikampf, wie immer es auch ausfallen möge, akzeptieren. Das hat Matt Sören versichert. Jetzt fordere ich, dass sie mit dem Eid, der ihnen am heiligsten ist, die Wahrheit seiner Worte bestätigen. Als Gegenleistung biete ich die Sicherheit der Zwergenversammlung, dass sie unversehrt aus unserem Reich weggeführt werden, wenn das nach dem Urteil über den Zweikampf nötig ist. Kaen hat dem zugestimmt, eigentlich war es sogar sein Vorschlag.«
Gemeiner Lügner, dachte Kim wütend, als sie auf Kaens klaren, ernsten Gesichtsausdruck blickte. Aber sie kontrollierte ihr Mienenspiel, legte ihre unberingte Hand in die Tasche ihres Gewandes und hörte zu, als Loren von seinem Sitz aufstand und sagte: »Im Namen von Seithr, dem Größten der Zwergenkönige, der im Dienste des Lichtes starb, als er gegen Rakoth Maugrim und die Legionen der Finsternis kämpfte, schwöre ich, dass ich mich an die Worte halte, die du gesprochen hast.« Dann setzte er sich nieder.
Ein weiteres ruhiges, aber unverkennbares Murmeln ging durch die Halle. Und jetzt noch etwas! dachte Kim, als sie sich ihrerseits erhob. Sie fühlte Ysanne in sich, ihre Zwillingsseele unter den Zwillingsbergen, und als sie sprach, war es die Stimme der Seherin, die ernst und streng in diesen riesigen Räumen erklang.
»Im Namen der Paraiko von Kath Meigol, den sanftesten unter den Kindern des Webers, den Riesen, die keine Geister sind, sondern leben und gerade jetzt Eridu reinigen, indem sie die unschuldigen Toten aus dem Todesregen des Kessels einsammeln, schwöre ich, dass ich mich an die Worte halte, die du gesprochen hast.«
Jetzt wurde ein Geräusch hörbar, das mehr als ein Murmeln war, es war ein drängendes Aufbrausen von Stimmen.
»Das ist eine Lüge!« schrie ein alter Zwerg von hoch oben in die Halle hinein, seine Stimme überschlug sich. »Der Kessel, den wir gefunden haben, hat Leben und nicht Tod gebracht!«
Kim sah, dass Matt sie anblickte, er schüttelte kaum wahrnehmbar seinen Kopf, und sie schwieg.
Niach winkte erneut um Ruhe. »Was Wahrheit oder Lüge ist, hat die Ratsversammlung zu entscheiden«, erklärte er. »Es ist Zeit zu beginnen. Ihr, die ihr hier versammelt seid, kennt die Gesetze des Redekampfes. Kaen, der jetzt regiert, wird als erster sprechen, wie Matt vor vierzig Jahren, als er König war. Sie werden zu euch sprechen und nicht zur Versammlung. Ihr, die ihr hier versammelt seid, sollt wie eine Steinmauer sein, von der ihre Worte abprallen und zu uns kommen. Das Gesetz verpflichtet euch zum Schweigen, und aus dem Gewicht, der Form, der gewobenen Struktur dieses Schweigens wird die Versammlung das Urteil ableiten, das wir zwischen diesen beiden Männern fällen müssen.«
Er hielt inne. »Nur eines muss ich noch fordern. Obwohl niemand anders eine Vollmondnacht am Calor Diman erlebt hat, steht heute Matt Sörens Recht in Frage, ob er die Diamantkrone weiterhin tragen darf. Deshalb möchte ich ihn auch bitten, sie während des Kampfes abzusetzen.«
Er wandte sich um, und als auch Kim wie alle anderen in der Halle auf Matt blickte, bemerkte sie, dass er sie nach seiner anfänglichen demonstrativen Geste bereits wieder auf die Steintafel zwischen sich und Kaen zurückgelegt hatte. Oh, wie klug, dachte Kim und bemühte sich, ein wohlgefälliges Lächeln zu unterdrücken. Oh, wie klug, mein lieber Freund. Matt nickte ernst zu Niach hinüber, der sich seinerseits verbeugte.
Indem er sich an Kaen wandte, sagte Niach lediglich: »Du kannst beginnen.«
Auf seinen Stab gestützt schlurfte er zurück, und nahm seinen Platz unter den anderen Mitgliedern der Ratsversammlung
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