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Das Kind des Schattens

Titel: Das Kind des Schattens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guy Gavriel Kay
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standen. Als Kim voller Verblüffung hinaufblickte, sah sie noch zwei weitere Zugangsebenen zum Innenraum, und auch dort gab es jeweils neun Gewölbegänge, die den Eintritt in die großartige Halle gewährten. Auf allen drei Ebenen kamen Zwerge durch all die Gewölbe herein. Gerade in diesem Augenblick ging ein Grüppchen von Zwergenfrauen an Kim vorbei, sie blieben stehen und fixierten sie mit einem strengen Blick, der nichts verriet. Dann begaben sie sich hinein.
    Seithrs Halle war nach Art eines Amphitheaters angelegt. Die Decke des Raumes war so hoch, und das Licht ringsum so überzeugend natürlich, dass es Kim schien, als könnten sie nun wirklich draußen in der klaren kalten Luft der Berge sein.
    Während sie noch in dieser Illusion gefangen war und noch immer nach oben blickte, sah sie, dass in den riesigen hellen Räumen hoch über der Halle Vögel von unendlicher Mannigfaltigkeit ihre Kreise zogen. Aus ihren Formen blitzte viel farbiges Licht, und sie erkannte, dass auch dies Schöpfungen der Zwerge waren, die durch einen kunstvollen Mechanismus, der ihre Vorstellungskraft überstieg, in der Höhe und in einer scheinbaren Freiheit des Fluges gehalten wurden.
    Von dem Podium darunter zog ein gleißendes Licht ihren Blick auf sich und sie schaute hinab. Einen Moment später wusste sie, worauf sie blickte, und unmittelbar darauf starrte sie wieder ungläubig zu den kreisenden Vögeln nach oben. Die Spiegelung der Farben und Lichter, die von ihnen kam, entsprach genau der Reflexion, die von den beiden Gegenständen dort unten ausging.
    Und das hieß, dass die Vögel und sogar die eindrucksvollen Adler nicht aus Kristall bestanden, wie die Skulpturen, die sie in den Korridoren gesehen hatte, sondern aus Diamant.
    Denn auf tiefroten Kissen auf einem steinernen Tisch in der Mitte des Podiums ruhten die Diamantkrone und das Diamantzepter der Zwerge.
    Kim empfand ein kindliches Verlangen, ihre Augen zu reiben, um zu sehen, ob sie noch immer dasselbe Bild vor sich haben würde, wenn sie ihre Hände wegnähme. Hoch über ihr schwebten Adler aus Diamant!
    Wie konnten Menschen, die sie dort oben platzierten, die sie dort oben wollten, Verbündete der Finsternis sein? Und dennoch …
    Und dennoch war von dem wirklichen Himmel außerhalb dieser Berghallen ein Todesregen auf Eridu herabgefallen. Und er war auf Grund dessen herabgefallen, was die Zwerge getan hatten.
    Jetzt erst wurde sie sich bewusst, dass ihre Führerin sie mit kühler Neugierde beobachtete, um ihre Reaktion auf den Glanz und die Großartigkeit der Halle abzuschätzen, vielleicht auch, um sich darin wohlgefällig zu spiegeln. Sie war voller Ehrfurcht und Bewunderung. Niemals hatte sie etwas Ähnliches gesehen, nicht einmal in ihren prophetischen Träumen. Und dennoch …
    Sie steckte ihre Hände in die Taschen ihres Gewandes. »Sehr hübsch«, bemerkte sie beiläufig. »Ich mag die Adler gerne. Wie viele von den wirklichen Adlern sind im Regen gestorben?« Und ihre Belohnung, wenn man es Belohnung nennen konnte, bestand darin, dass die Zwergenfrau so bleich wurde, wie die Steinwände von Kims Raum in der Morgendämmerung, als sie erwachte. Sie empfand ein Aufwallen von Mitleid, unterdrückte es aber entschieden und blickte weg. Sie hatten Rakoth befreit, sie hatten ihren Ring genommen, und dieser Frau hatte Kaen genügend getraut, um sie hierher bringen zu lassen.
    »Nicht alle Vögel sind gestorben«, entgegnete ihre Führerin sehr leise, so dass es niemand hören konnte. »Gestern morgen bin ich zum See hinaufgegangen. Ich habe dort einige Adler gesehen.«
    Kim krampfte ihre Fäuste zusammen. »Ist das nicht wunderbar?« fragte sie, so kalt sie konnte. »Und wie viel länger, glaubst du, wird das so sein, wenn Rakoth Maugrim uns besiegt?«
    Der Blick der Zwergenfrau fiel vor der steinernen Wut in Kims Augen zu Boden. »Kaen sagt, dass es Versprechungen gibt«, flüsterte sie, »er sagt …« Sie hielt inne. Einen Augenblick später sah sie Kim mit der Kühnheit ihrer Rasse direkt ins Gesicht. »Haben wir denn noch irgendeine Wahl, jetzt?« fragte sie bitter.
    Kims Ärger schwand, es war ihr, als verstünde sie nun endlich, was geschehen war und was noch immer in diesen Hallen geschah. Sie wollte antworten, aber in diesem Augenblick ertönte ein lautes Murmeln aus dem Innern von Seithrs Halle, und sie blickte rasch zum Podium hinüber.
    Hinter einer anderen Zwergenfrau ging Loren Silbermantel, leicht hinkend und auf Amairgens weißen Stab gestützt, zu

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