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Das Kind des Schattens

Titel: Das Kind des Schattens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guy Gavriel Kay
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war ein Akt des Mutes, um dessentwillen ich ihn geehrt habe. In der darauf folgenden Vollmondnacht schlief er am Ufer des Sees, wie alle, die Könige werden wollen, es tun müssen: auch das ein Akt des Mutes, um dessentwillen ich ihn ehrte.«
    Kaen hielt inne. »Ich ehre ihn jetzt nicht mehr«, sprach er in das Schweigen. »Ich habe ihn nicht mehr geehrt, seit er damals vor vierzig Jahren diesen Akt der Feigheit beging, der die ganze Erinnerung an seinen Mut hinweggewischt hat. Ich will euch erinnern, Volk der Zwillingsberge, ich will euch an jenen Tag erinnern, als er das Zepter, das hier neben uns liegt, nahm und auf diese Steine herabwarf. Das Diamantzepter behandelte er wie ein Stück Holz! Ich will euch daran erinnern, dass er damals die Krone abgelegt hat, die er jetzt gerade – nach vierzig Jahren! – so hochmütig beansprucht hat. Er hat sie abgelegt wie ein Spielzeug, das ihm kein Vergnügen mehr bereitet. Und weiter will ich euch daran erinnern« … und jetzt sank seine Stimme von marktiefem Kummer beschwert nach unten … »dass Matt, König unter Banir Lök, nachdem er all dies getan hatte, uns verließ.«
    Kaen ließ das grimmige Schweigen fortdauern, ließ es das volle Gewicht der Verdammung ansammeln. Dann fuhr er sanft fort: »Den Redekampf vor vierzig Jahren hat er selbst gewollt. Dass er die Frage des Kessels von Kath Meigol dem Urteil der Versammlung unterwarf, war seine eigene Entscheidung. Niemand hat ihn dazu gezwungen, niemand hätte es gekonnt. Er war König unter den Bergen. Er regierte nicht, wie ich es immer versucht habe, durch Ratschluss und Abstimmung, sondern absolut, denn er trug die Krone, er war mit dem Kristallsee vereint. Und als mich dann die Versammlung ehrte, indem sie zustimmte, dass meine Suche nach dem Kessel ein den Zwergen würdiges Unternehmen war, hat König Matt uns verlassen … aus Ärger, Groll und Verdrießlichkeit.«
    In seiner Stimme lag Schmerz, der Schmerz, in diesen lang vergangenen Zeiten einer Führung und Unterstützung beraubt zu sein, die so dringend benötigt wurde.
    »Er hat uns verlassen, und wir mussten versuchen, so gut wir nur konnten, ohne ihn auszukommen … Ohne die Bindung des Königs an den See, die immer der Herzschlag der Zwerge gewesen ist. Vierzig Jahre lang habe ich hier mit meinem Bruder Blod und mit dem Ratschluss der Versammlung regiert, so gut ich konnte.
    Vierzig Jahre lang ist Matt fern von uns gewesen und hat in der weiten Welt jenseits der Berge seinen eigenen Ruhm und sein Vergnügen gesucht. Und jetzt, jetzt nach so langer Zeit will er wieder zurückkommen. Jetzt, weil es ihm, seiner Eitelkeit, seinem Stolz passt, möchte er zurückkehren und einen Anspruch auf das Zepter und die Krone erheben, die er vorher so verächtlich weggeworfen hat.«
    Er trat einen weiteren Schritt nach vorne, sprach in die Herzen seiner Zuhörerschaft. »Lasst es nicht zu, Kinder des Calor Diman! Vor vierzig Jahren habt ihr entschieden, dass die Suche nach dem Kessel, dem Kessel des Lebens, unser würdig war. In eurem Dienst habe ich all diese Jahre hier unter euch gearbeitet, um den Beschluss der Versammlung in die Tat umzusetzen. Wendet euch jetzt nicht von mir!«
    Langsam sanken seine ausgebreiteten Arme herab. Kaen hatte seine Rede beendet. Hoch oben über dem starren, vollkommenen Schweigen kreisten und strahlten die Vögel, die aus Diamanten gefertigt waren.
    Kims Brust war vor Anstrengung und Furcht gespannt, und sie blickte, wie alle anderen in Seithrs Halle zu Matt Sören hinüber, ihrem Freund, der seine Worte, seit sie ihn kannte, immer knapp, sorgfältig und einfach gesetzt hatte. Seine Kraft waren Stärke und Wachsamkeit und ein tiefes fürsorgliches Verantwortungsbewusstsein, das er jedoch niemals mit Worten zum Ausdruck brachte. Worte waren nie Matts Werkzeuge gewesen: jetzt nicht und nicht vor vierzig Jahren, als er seinen letzten Wortstreit mit Kaen zu seiner Verbitterung verloren hatte und deshalb auch seine Krone aufgab.
    Sie konnte sich vorstellen, wie dieser Tag für ihn ausgesehen hatte: der junge, stolze König, frisch vereint mit dem Kristallsee, feurig strahlend mit seinen Visionen des Lichts, wie jetzt ein Feind der Finsternis. Mit dem inneren Auge der Seherin konnte sie es sich ausmalen: die Wut, das qualvolle Gefühl, abgelehnt worden zu sein, das Kaens Sieg in ihm erzeugt hatte. Sie konnte ihn sehen, wie er die Krone wegschleuderte. Und sie wusste, dass er damit falsch gehandelt hatte.
    In diesem Augenblick dachte sie auch

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