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Das Kind des Schattens

Titel: Das Kind des Schattens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guy Gavriel Kay
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mit scharfen Krallen peinigte, wandte sich Kim zu Matt zurück und spürte, wie sich ihr rasender Herzschlag wieder verlangsamte.
    Auch wenn er eine Krone trug, aus der tausend Diamanten strahlten, blieb sein Wesen von einer ruhigen und beruhigenden Sicherheit, von einer dauerhaften Stille.
    Er erhob eine Hand und wartete geduldig auf das Schweigen. Als es schon fast eingetreten war, sagte er: »Der Calor Diman verrät niemals seine Könige.«
    Mehr sagte er nicht, und er sagte es leise, aber die Akustik dieses Raumes trug seine Worte bis in die fernsten Winkel von Seithrs Halle. Als die Resonanz verklungen war, herrschte wieder vollständiges Schweigen.
    Und dann traten von beiden Seiten des Podiums ungefähr fünfzehn oder zwanzig Zwerge in diese Halle ein. Sie waren alle schwarz gekleidet, und Kim sah, dass jeder auf dem dritten Finger seiner rechten Hand einen Diamantring trug, der wie weißes Feuer funkelte. Keiner von ihnen war jung, aber der, welcher als erster kam, war bei weitem der älteste. Sein Bart war weiß, er stützte sich auf einen Stab und wartete, bis die anderen zu den steinernen Sitzen auf der einen Seite des Podiums hinübergegangen waren.
    »Die Ratsversammlung«, flüsterte Loren leise. »Sie werden das Urteil zwischen Kaen und Matt fällen. Der mit dem Stab ist Niach, der Erste der Versammlung.«
    »Worüber werden sie urteilen?« wisperte Kim furchtsam zurück.
    »Über das Rededuell«, murmelte Loren. »In derselben Art, wie jenes vor vierzig Jahren, das Matt verlor, als die Versammlung für Kaen stimmte und den Beschluss fasste, die Suche nach dem Kessel fortzuführen …«
    »Schweigt!« zischte derselbe Wächter wie vorher. Er unterstrich seinen Befehl, indem er Loren mit der Hand nicht gerade freundlich auf den Arm schlug.
    Silbermantel drehte sich geschwind um und fixierte den Wächter mit einem Blick, der den Zwerg zurücktaumeln und erbleichen ließ.
    »Ich habe … ich habe den Befehl, Euch ruhig zu halten«, stammelte er.
    »Ich habe nicht die Absicht, allzu viel zu sagen«, entgegnete Loren. »Aber wenn du mich noch einmal berührst, werde ich dich in eine Geiala verwandeln und zum Mittagessen braten. Das ist die letzte Warnung!«
    Er wandte sich wieder zum Podium zurück, sein Gesicht war undurchdringlich. Es war nur ein Bluff, Kim wusste es, aber es wurde ihr auch klar, dass keiner von den Zwergen, nicht einmal Kaen, wissen konnte, was mit den Kräften des Magiers in Cader Sedat geschehen war.
    Niach war nach vorne getreten, man hörte, wie sein Stab bei jedem Schritt auf dem Stein aufschlug. Er stellte sich schräg vor Kaen und Matt auf. Nachdem er sich mit demselben Ernst vor beiden verbeugt hatte, wandte er sich um und sprach zu den Zwergen.
    »Tochter und Söhne von Calor Diman, ihr werdet gehört haben, warum wir zu Seithrs Halle gerufen wurden. Matt, der unter Banir Lök einst König hier war, ist zurückgekehrt und hat die Versammlung davon überzeugt, dass er derjenige ist, als den er sich ausgibt. So ist es, trotz der verflossenen vierzig Jahre. Er trägt jetzt einen zweiten Namen: Sören, um den Verlust eines Auges zu bezeichnen, den er in einem Krieg fern von unseren Bergen erlitten hat. Es war ein Krieg«, fügte Niach ruhig hinzu, »in dem die Zwerge keine wirkliche Rolle spielen mussten.«
    Kim wand sich. Aus ihrem Augenwinkel sah sie, wie Loren konsterniert auf seine Unterlippe biss.
    Niach fuhr in dem gleichen vorsichtigen Tonfall fort: »Wie dem auch sei, es ist Matt Sören, der wieder hier ist, und vergangene Nacht hat er Kaen vor der Versammlung zum Wettstreit herausgefordert, Kaen aber, der uns diese vierzig Jahre regiert hat, regierte nur mit Zustimmung und Unterstützung der Ratsversammlung, nicht jedoch als wirklicher König, denn er hat niemals einen Kristall für den See gefertigt, noch eine Nacht unter dem Vollmond an seinen Ufern verbracht.«
    Ein leises Murmeln wurde hörbar. Nun war Kaen an der Reihe zu reagieren. Sein Ausdruck aufmerksamer Ehrerbietung veränderte sich nicht, aber Kim, die ihn genau beobachtete, sah, wie sich seine Hand auf dem Tisch zur Faust schloss. Einen Augenblick später schien er sich dessen bewusst zu werden, und seine Faust öffnete sich wieder.
    »Wie dem auch sei«, wiederholte Niach ein zweites Mal, »ihr seid hier, um zu hören, die Versammlung aber, um über ein Rededuell der alten Art zu urteilen, wie wir es in vierzig Jahren nicht erlebt haben …, seit diese beiden hier vor uns standen. Durch die Gnade, welche die

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