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Das Kind des Schattens

Titel: Das Kind des Schattens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guy Gavriel Kay
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laut in der Ruhe dieses Ortes. Noch immer war Musik in ihr, aber jetzt klang sie angespannt und wurde von vielem überlagert.
    »Ich weiß, dass es da ist«, erklärte er. »Aber ich weiß auch, dass daneben Verlangen nach dem Licht existiert. Beide Seiten sind Teile seines Weges.«
    »Dann lass den Weg hier zu Ende gehen«, forderte sie. Sie wandte sich flehend an ihn: »Mein Herr, in diesem hier ist zuviel Finsternis. Ich kann es schon von hier aus fühlen.«
    Sie war ein Kind des Lichtes, und sie stand in Daniloth. Ihre Bestimmtheit pflanzte einen vorübergehenden Zweifel in sein Herz, aber er schlug niemals Wurzeln, denn Lancelot hatte seine eigenen Gewissheiten. Er sprach: »Die Finsternis ist jetzt überall. Wir können ihr nicht aus dem Weg gehen, wir können sie nur durchbrechen, und das ist nicht leicht. Aber in der Gefahr, die damit verbunden ist, liegt vielleicht unsere Hoffnung auf Erlösung.«
    Eine lange Weile blickte sie ihn an. »Wer ist er?« fragte sie schließlich.
    Aus vielen Gründen hatte er gehofft, dass sie nicht danach fragen würde.
    Aber als die Frage kam, wandte er sich nicht ab. »Es ist Guineveres Kind«, gab er ihr emotionslos Bescheid, so schwer ihm dies auch fiel. »Guineveres und Rakoth Maugrims Kind. Er hat sie in Starkadh mit Gewalt genommen. Und darin liegt das Böse, das du siehst, aber auch die Hoffnung auf das Licht dahinter.«
    Jetzt überlagerte der Schmerz die Angst in ihren Augen. Und unter beiden Gefühlen im Muttergestein lag Liebe. Aber auch das hatte er früher schon zu oft gesehen.
    Sie wollte mehr erfahren: »Du glaubst, dass sie stärker sein wird?« Wieder war Musik in ihrer Stimme, fern, aber sehr klar.
    »Es ist eine Hoffnung«, erwiderte er mit ernster Ehrlichkeit. »Nicht mehr als eine Hoffnung.«
    »Und Ihr würdet auf der Basis dieser Hoffnung handeln und auch von mir verlangen zu handeln?« Noch immer war es Musik.
    »Sie hat mich aufgefordert, ihn zu schützen«, erklärte er ruhig. »Ihn bis zum Augenblick der Wahl, die er zu treffen hat, zu begleiten. Ich kann nicht mehr tun, als Euch zu bitten. Mir bleibt nur noch diese Bitte.«
    Sie schüttelte den Kopf: »Es bleibt Euch mehr als das.«
    Und mit diesen Worten wandte sie sich von ihm ab und vergaß ihr eigenes Herz. Sie blickte auf den bewegungslosen Vogel, das Kind der Finsternis und des Lichtes. Dann machte sie mit ihren langen anmutigen Händen einige Bewegungen, sang ein Wort der Kraft, und so entstand ein Freiraum, über den er durch das Schattenland wegfliegen konnte. Sie schuf einen Korridor für Darien, eine Spalte in den Nebeln der Zeit, die sich durch Daniloth schlangen, und mit ihrem inneren strahlenden Auge sah sie zu, wie er in diesem Korridor über den Hügeln von Atronel immer weiter nach Norden flog und schließlich über dem Celynfluß herauskam. Dort verlor sie ihn aus den Augen. Es hatte lange gedauert, Lancelot stand neben ihr, die ganze Zeit schweigend. Er hatte gesehen, wie Dariens Flug begann, aber als die Eule über die vielfarbigen Blätter des Waldes ein Stück Wegs nach Norden zurückgelegt hatte, war sie aus seinem sterblichen Blickfeld verschwunden. Er wartete weiter und wusste, dass er Guineveres Kind nur so weit hatte folgen können. Es war der letzte Dienst, den er hatte anbieten können. Und es war ein trauriger Dienst.
    Während er neben Leyse verharrte und die bleiche Sonne weiter in den Himmel hinaufkletterte, war er sich großer Müdigkeit und großen Schmerzes bewusst. Über der Wiese hing ein zarter Duft, und aus den nahe gelegenen Wäldern klangen Vogelstimmen. Er konnte Wasser rauschen hören, und ohne dass es ihm wirklich bewusst war, bemerkte er plötzlich, dass er sich auf dem Gras zu Leyses Füßen niedergelassen hatte. Und dann legte er sich wie in Trance ganz zu Boden und schlief ein. Es war ein Zustand, der zur Hälfte durch Daniloth und zur anderen Hälfte durch marktiefe Erschöpfung entstanden war.
    Als die Eule die nördlichsten Grenzen ihres Landes überquert und sie ihn jenseits des Nebels aus den Augen verloren hatte, ließ Leyse ihren Geist wieder zurückkehren. Es war früh am Nachmittag, und das Licht war so hell, wie es immer werden konnte. Und trotzdem war auch sie sehr müde. Was sie getan hatte, war nicht leicht gewesen, umso mehr, als sie zum Schwanensiegel gehörte und den unausweichlichen Widerhall des Bösen gespürt hatte.
    Sie blickte auf den Mann nieder, der neben ihr fest schlief. In ihrem Herzen war nun Ruhe, eine Bereitschaft, das

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