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Das Kind des Schattens

Titel: Das Kind des Schattens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guy Gavriel Kay
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hinzunehmen, was ihr neben den Wassern von Fiathai geschah. Sie wusste, dass er nicht bei ihr bleiben würde, wenn sie ihn nicht durch Magie an diesen Ort binden würde, und das wollte sie nicht tun.
    Nur eines wollte sie sich erlauben. Sie blickte sehr lange auf sein schlafendes Antlitz und nahm es in das Gedächtnis ihrer Seele auf. Dann legte sie sich auf dem weichen, duftenden Gras neben ihn nieder und ließ ihre Hand in seine verwundete Hand gleiten. Weiter wollte sie in ihrem Stolz nicht gehen. Auf diese Weise war sie einen allzu kurzen Sommernachmittag lang mit ihm verbunden, sie fiel in Schlaf, und das war das einzige Mal, dass sie neben Lancelot, den sie liebte, schlief.
    Den ganzen Nachmittag lang schliefen sie, und in dem stillen Frieden von Daniloth wurden sie durch nichts, nicht einmal einen Traum gestört. Weit im Osten jenseits des hochragenden Bergwalls warteten die Zwerge von Banir Lök und Banir Tal auf den Sonnenuntergang und das Urteil ihres Kristallsees. Etwas näher auf der weiten Ebene erreichten ein Zwerg, ein Mann aus Eridu und ein Ausgestoßener der Dalrei das Lager des Großkönigs und wurden dort begrüßt, und kurz darauf machte sich das Heer auf den Weg, um nach Gwynir und an die Ostgrenze dieses Schattenlandes zu reiten.
    Und während sie schliefen, flog Danen im Norden von ihnen zu seinem Vater.
    Sie wachten zur selben Zeit auf, als die Sonne unterging. Im Dämmerlicht blickte Lancelot sie an, er sah, wie ihr Haar und ihre Augen neben ihm wunderschön und seltsam leuchteten. Er blickte auf ihre langen Finger hinab, die in die seinen verschlungen waren. Einen Augenblick lang schloss er seine Augen und ließ den letzten Ausläufer dieses Friedens wie eine Flutwelle über sich wegspülen.
    Dann löste er sehr behutsam seine Hand aus der ihren. Keiner von beiden sprach, er stand auf. Das Gras und die Blätter des nahe gelegenen Waldes fluoreszierten ein wenig, als ob Daniloths Pflanzen nur widerstrebend das Licht loslassen würden. Dasselbe Glimmen sah er auch in ihren Augen und im Umriss ihres Haares. Vieles hallte in seinem Bewusstsein wider, viele Erinnerungen. Er bemühte sich, es sie nicht merken zu lassen.
    Er half ihr aufzustehen. Langsam schwand der Lichtschimmer hinweg, zuerst von den Blättern und Gräsern und dann ganz zum Schluss von Leyse. Sie drehte sich um und deutete mit dem Finger nach Westen. Er folgte der Linie ihres Armes und sah einen Stern.
    »Es ist Lauriels Stern«, sagte sie. »Wir haben den Abendstern nach ihr benannt.« Und dann begann sie zu singen. Er lauschte ihr und weinte aus vielen Gründen längere Zeit.
    Als sie ihr Lied beendet hatte, wandte sie sich um und entdeckte seine Tränen. Sie schwieg, auch er sprach nicht. Sie führte ihn nordwärts durch Daniloth, schützte ihn durch ihre Gegenwart vor dem Nebel und den Schlingen der Zeit. Sie wanderten die ganze Nacht. Sie führte ihn auf den Hügel von Atronel am Kristallthron vorbei, dann auf der anderen Seite wieder hinab, und Lancelot du Lac war der erste Sterbliche, der jemals diesen Ort bestieg.
    Schließlich langten sie an der südlichen Bucht des Celynsees an, jenem Teil des Gewässers, der nach Daniloth hereinreichte, und sie gingen an seinen Ufern nach Norden, nicht weil es der schnellste oder der leichteste Weg war, sondern weil sie diese Gegend liebte und ihm zeigen wollte. Am Ufer entlang blühten Nachtblumen, die ihre Düfte aussandten, und draußen über dem Wasser sah er seltsame flüchtige Gestalten, die auf den Wellen tanzten. Die ganze Zeit hörte er Musik.
    Dann kamen sie zu einer Stelle, wo ein Fluss den See verließ, und als die erste Andeutung der Dämmerung den Himmel im Osten berührte, wandten sie sich nach Westen. Kurze Zeit später hielt Leyse an und sprach zu Lancelot: »Der Fluss ist hier ruhig, und es gibt Steine, auf die Ihr treten könnt, um ihn zu überqueren. Ich kann nicht weitergehen. Auf der anderen Seite des Celynflusses liegt Andarien.«
    Er blickte lange Zeit schweigend auf ihre Schönheit, aber als er sprechen wollte, legte sie ihre Finger über seine Lippen.
    »Sagt nichts«, flüsterte sie. »Es gibt nichts, was Ihr sagen könntet.«
    Es war die Wahrheit. Er blieb noch einen Augenblick stehen, dann zog sie sehr langsam die Hand von seinem Mund weg, und er drehte sich um, überquerte den Fluss mit Hilfe der gleichmäßig ausgelegten glatten runden Steine und verließ Daniloth.
    Aber er lief nicht weit. Ob es nun eine Intuition des Krieges oder der Liebe war oder

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