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Das Kind des Schattens

Titel: Das Kind des Schattens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guy Gavriel Kay
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Lancelot.«
    Sie hatte ihm bereits geholfen, hätte sie erwidern können, sonst wäre er nicht soweit gekommen, sonst würde er sie jetzt nicht sehen. Sonst wäre er für immer in einer lautlosen, umrißlosen Welt eingeschlossen, seiner eigenen Welt. Solange, bis der Webstuhl anhalten würde.
    Das hätte sie ihm sagen können, wenn ihre Augen nicht bereits kristallen, ja sogar noch strahlender und klarer geworden wären, als sie es für möglich gehalten hätte. Das hätte sie sagen können, hätte sie ihr Herz nicht bereits gegeben und verloren, noch bevor sie seinen Namen hörte, noch bevor sie wusste, wer er war.
    In ihrem Haar glitzerten die Wassertröpfchen, das Gras war intensiv grün. Wie immer schien die Sonne sanft durch die Schatten. Sie blickte in seine Augen, wusste, wer er war, und ahnte jetzt in diesem Augenblick bereits, was ihr eigenes Schicksal sein würde.
    Sie hörte es: die ersten hohen, fernen, unglaublich schönen Töne.
    Sie begrüßte ihn: »Ich bin Leyse vom Schwanensiegel. Seid willkommen in Daniloth.«
    Sie konnte sehen, wie er die feine Musik ihrer Stimme, die Schönheit ihres Körpers in sich aufnahm, sie trank. Sie ließ ihre Augen ein wenig grün werden und dann wieder kristallen. Sie bot ihm die Hand, ließ zu, dass er sie ergriff und zu seinen Lippen führte.
    Ra-Tenniel hätte eine schlaflose Nacht verbracht, wäre durch Blumenfelder gewandert und hätte ein neues Lied geschaffen, wenn sie ähnlich viel für ihn getan hätte.
    Sie blickte in Lancelots Augen. So dunkel waren sie. Sie sah in ihnen Freundlichkeit und Bewunderung, auch Dankbarkeit. Aber vor allem und über alles sah sie immer und immer wieder ohne Ende die, die alle Welten schuf, die er kannte, und in alle dieser Welten verwoben war, sie sah Guinevere. Und mit ihr die unwiderrufliche Tatsache seiner absoluten Liebe. Ein Ausmaß seiner Freundlichkeit war es jedoch, dass ihr eines erspart blieb: In seinem ruhigen Blick fand sie nicht einmal eine Andeutung, wie oft und immer immer wieder dieses Treffen stattgefunden hatte. In so vielen Wäldern, Wiesen und Welten, neben so vielen sprudelnden Wasserfällen, die eine süße Sommermusik spielten, während das Herz einer jungen Frau im Liebeskummer zerbrach.
    Noch während sie ihre Worte des Schutzes für ihn sprach, wurde auch sie von ihm geschützt, sie musste nicht erfahren, wie sehr diese Begegnung ein Teil des langen dreifachen Verhängnisses war. So leicht und umfassend konnte ihr plötzliches verklärtes Aufleuchten in die Geschichte aufgenommen werden, es war nur ein weiterer Ton in einem immer wiederkehrenden Motiv, ein Faden, dessen Farbe im Gewebe bereits vorhanden war. Ihre Schönheit, die weißstrahlende, kristalline Blüte ihrer Schönheit hätte mehr verdient, ebenso die jahrhundertelange Einfachheit ihres Wartens. Auch das verlangte in jedem Falle nach mehr. Und er wusste es, wusste es ebenso tief in seinem Innern, wie er seinen Namen kannte und seine Grenzübertretung in seinem Herzen benennen konnte. Er stand im Schattenland, an diesem Ort der intensiven Schönheit, und er nahm ihren Schmerz auf sich, wie er es bei so vielen anderen getan hatte, und er nahm auch die Schuld und die Last dieser Schuld auf seine eigenen Schultern.
    Und all das geschah in dem kurzen Zeitraum, den ein Mann brauchte, um eine grasbewachsene Lichtung zu überqueren und vor einer Dame im Morgenlicht zu stehen.
    Es war ein Willensakt von vollkommenem Edelmut, dass Leyse die Farbe ihrer Augen ebenso hielt wie zuvor. Sie blieben kristallen … zerbrechlich kristallen, dachte sie … und sie fragte mit Musik in ihrer Stimme: »Wie kann ich dir behilflich sein?«
    Nur dieses »dir« verriet sie. Er ließ sich in keiner Weise anmerken, dass er die Zärtlichkeit darin gehört hatte, das Verlangen, das sie in dieses eine Wort gleiten ließ. Förmlich antwortete er: »Ich bin auf einer Suche, die mir meine Herrin aufgetragen hat. Wahrscheinlich ist in der vorigen Nacht noch jemand anders in die Grenzen Eures Landes eingedrungen, er fliegt in Gestalt einer Eule, ohne es wirklich zu sein. Er ist auf seiner eigenen Reise, und das ist ein sehr dunkler Weg, und nun fürchte ich, dass er vielleicht in den Schatten über Daniloth hängen geblieben ist, ohne dass es in der Nacht von irgend jemand bemerkt wurde. Ich habe den Auftrag, ihn auf diesem Weg sicher zu geleiten.«
    Nichts hätte sie mehr gewünscht, als mit diesem Mann an ihrer Seite wieder neben den rauschenden Wassern von Fiathai zu liegen,

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