Das Kind des Schattens
letzter Raum der Ruhe inmitten des beißenden Windes … dass es nur eines gab, was sie tun konnten.
Und es gab nur einen einzigen Augenblick, diesen jetzigen Augenblick, in dem sie es tun konnten, bevor die Flamme des Drachen hervorbersten und sie in Asche verwandeln würde.
Er streichelte ihre glänzende, schimmernde Mähne. Im Geiste sagte er: Also hier ist es. Hab keine Angst, meine Geliebte, lass uns tun, wozu wir geboren wurden.
Ich habe keine Angst, schickte sie ihm in ihrer Geiststimme zurück, deren Tonfall er so genau kannte. Du hast mich deine Geliebte genannt, seit wir uns das erste Mal gesehen haben. Weißt du, dass auch du mein Geliebter warst?
Nun näherte sich der Drachen, Schwärze erfüllte den Himmel. Das brüllende, betäubende Geräusch des Windes erreichte die äußersten Grenzen. Trotzdem hielt Imraith-Nimphais ihm stand, sie strengte ihre Schwingen an, um schneller als jemals zuvor zu fliegen, ihr Horn war ein Punkt von blendendem Licht in dem brüllenden Chaos des Himmels.
Natürlich weiß ich es, übermittelte ihr Tabor, und es war der letzte Gedanke dieser Art. Jetzt komm, mein Liebling, wir müssen ihn töten, indem wir sterben!
Und Imraith-Nimphais zwang sich auf irgendeine Weise noch höher, noch mehr nach vorne, trat geradewegs in den Wirbel des Drachenwindes ein, und Tabor klammerte sich mit aller Kraft an ihre Mähne und ließ sein nutzloses Schwert fallen. Sie stieg über den Weg des Drachen empor, er sah noch, wie dieser seinen Kopf hob und seinen Rachen aufriss.
Aber sie stürzten sich herab und zielten wie ein Strahl tötenden Lichtes geradewegs auf den ekelerregenden Kopf zu. Sie, die zuallerletzt nur einander hatten, verwandelten sich in ein lebendes Messer, um in dieser blendenden, weißglühenden Geschwindigkeit zu explodieren, um das scharfe Horn, das wie ein Stern schimmerte, mitten in und durch die Haut, den Muskel, den Knorpel und Knochen des Drachengehirns zu jagen und ihn durch ihren eigenen Tod zu töten.
Unmittelbar vor dem Zusammenstoß, unmittelbar vor dem Ende aller Dinge bemerkte Tabor, wie sich die lidlosen Augen des Drachen verengten. Er blickte hinab und sah die erste Flammenzunge am Grunde seines aufgerissenen Rachens auflodern. Zu spät! Er wusste, es war zu spät. Sie würden ihn rechtzeitig treffen. Er schloss seine Augen …
Und spürte, dass Imraith-Nimphais ihn mit einer taumelnden, spiralförmigen Bewegung abgeworfen hatte! Er schrie auf, seine Stimme verlor sich im Chaos. Er drehte sich in der Luft wie ein abgerissenes Blatt. Er fiel.
Im Geiste hörte er eine Geiststimme, klar und süß wie eine Glocke über sommerlichen Feldern in den reinsten Tönen der Liebe sagen: Denk an mich!
Dann traf sie den Drachen auf dem Höhepunkt ihrer Geschwindigkeit.
Ihr Horn scherte durch seinen Schädel, und ihr Körper folgte nach, sie war ein lebendes Messer, und genauso wie Imraith-Nimphais in ihrem Leben wie ein Stern geschienen hatte, so explodierte sie in ihrem Tod wie ein Stern. Denn das im Drachen angesammelte Feuer explodierte im Inneren und ließ sie beide in Flammen aufgehen.
Brennend fielen sie auf die Erde im Westen des Schlachtfeldes nieder und prallten dort mit einer Kraft auf, die den Boden im Osten bis nach Gwynir, im Norden bis zu den Mauern von Starkadh erzittern ließ.
Und Tabor dan Ivor, der durch einen Akt der Liebe abgeworfen worden war, stürzte nach ihnen aus einer mörderischen Höhe herab.
Als der Drache kam, fiel Kim auf die Knie nieder, nicht nur weil der Wind seiner Schwingung so heftig wehte, sondern auch weil sie sich ihrer eigenen Torheit so grausam bewusst wurde. Jetzt wurde ihr klar, warum der Baelrath für den Kristalldrachen am Calor Diman aufgeflammt war, warum Macha und Nemain, denen der Kriegsstein gedient hatte, gewusst hatten, dass der Wächtergeist der Zwerge gebraucht würde, koste es, was es wolle.
Und sie hatte sich geweigert. In ihrer Anmaßung, in ihrer eigenen künstlichen Moralität hatte sie sich geweigert, diesen Preis von den Zwergen zu fordern oder ihn selbst zu zahlen. Sie hatte sich geweigert, die Verantwortung des Baelrath bei der letzten Prüfung zu übernehmen. Und so hatte sich Tabor dan Ivor hoffnungslos überfordert in den Himmel erhoben, um den Preis für ihre Weigerung zu entrichten.
Wenn er es überhaupt konnte. Wenn sie nicht alle diesen Preis zu zahlen hatten. Denn wenn der Drache auf sie niederkäme, so würde dies das Ende von allem bedeuten. Kim wusste es, und wie sie, so wussten
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