Das Kind des Schattens
es alle, die mit ihr auf dem Grat oder auf der blutüberströmten Ebene dort unten standen.
Von einem betäubenden Schuldgefühl überwältigt sah Kim zu, wie Imraith-Nimphais verzweifelt kämpfte, um ihren Platz in der Luft gegen den vernichtenden Wirbelwind des Drachen zu halten.
Eine Hand griff nach ihrer Schulter. Es war Gereint. Sie hatte keine Ahnung, wie der alte Schamane wissen konnte, was sie getan hatte, aber an Gereint konnte sie jetzt überhaupt nichts mehr überraschen. Es war klar, dass er es wusste und selbst jetzt, als das Ende nahte, sie zu trösten versuchte … als ob sie darauf irgendein Anrecht hätte.
Zwinkernd drückte sie die Tränen aus ihren Augen und sah, wie die ungeheuren, verwachsenen, grauschwarzen Schwingen des Drachen die Luft schlugen. Die Sonne war verschwunden, eine riesige, brausende Schwärze lag über dem Land. Der Drache öffnete seinen Rachen. Kim beobachtete, wie Tabor sein Schwert fallen ließ. Und dann sah sie ungläubig und verblüfft, wie sein herrliches Reittier, das Geschenk der Göttin, strahlend und zweischneidig nach vorne in den Strudel flog, mitten in die vernichtende Riesigkeit von Maugrims Drachen.
Trotz der Kraft des Windes stand Gereint noch immer neben ihr, mit steinernem Gesicht wartete er. Irgend jemand stieß einen Schrei der Angst und der Ehrfurcht aus. Das Horn von Imraith-Nimphais blinkte glorreich und blendend am Rande der Nacht.
Und dann war sie nur noch verschwommen sichtbar, so schnell bewegte sie sich und fand irgendwo in ihrem Wesen eine noch größere, eine noch herausforderndere Dimension der Geschwindigkeit. Und dann erkannte Kim schließlich, was geschah und wie der Preis gezahlt wurde.
»Teyrnon!« schrie Paul Schafer plötzlich aus Leibeskräften. Er kreischte es über den Wind. »Schnell! Sei bereit!«
Der Magier warf ihm einen erschrockenen Blick zu, aber Barak rappelte sich, ohne eine Frage zu stellen, auf die Füße, schloss die Augen und machte sich stark.
Und in diesem Augenblick sahen sie, dass Tabor abgeworfen worden war. Dann traf Imraith-Nimphais auf den Drachen, und es explodierte ein Feuerball im Himmel, der zu grell war, als dass ein Auge ihn hätte ertragen können.
»Teyrnon!« schrie Paul wieder.
»Ich sehe ihn!« rief der Magier zurück. Der Schweiß lief ihm übers Gesicht, seine Hände waren ausgestreckt, so weit er nur konnte, die Kraft stieg aus ihm in schimmernden Wellen empor, er kämpfte darum, den Fall des Knaben, der aus so großer Höhe hilflos zur Erde herabstürzte, zu bremsen.
Als der Drache auf dem Boden aufprallte, war es, als sei ein Berg zerborsten. Rings um Kim purzelten die Menschen wie Dominosteine auf die zitternde Erde. Irgendwie konnte Gereint sein Gleichgewicht halten, er blieb aufrecht stehen und hatte noch immer eine Hand auf ihrer Schulter.
So war es auch bei Teyrnon und Barak. Aber als Kim aufblickte, sah sie, dass Tabor noch immer fiel, aber langsam und in Drehungen wie ein weggeworfenes Spielzeug.
»Er ist zu weit entfernt!« schrie Teyrnon verzweifelt. »Ich kann ihn nicht aufhalten!« Trotzdem versuchte er es. Und Barak, der am ganzen Körper zitterte, gab sein Äußerstes, um die Magie zu speisen, die diesen schrecklichen Fall unterbrechen konnte.
»Schau!« rief Paul. Aus dem Augenwinkel machte Kim eine blitzende Bewegung auf der Ebene aus. Sie wandte sich um. Ein Raithen von Daniloth lief in gestrecktem Galopp nach Westen. Tabor fiel mit dem Kopf voran, Teyrnons Magie hatte seinen Fall verlangsamt, aber er war bewusstlos und nicht imstande, sich zu helfen. Das Raithen schoss über den Boden wie ein golden-silberner Bruder von Imraith-Nimphais selbst. Arthur, der auf seinem Rücken saß, ließ den König Speer fallen und erhob sich in den Steigbügeln. Das Raithen sammelte sich und sprang. Und genau in diesem Augenblick streckte sich Arthur schräg nach oben zu dem Jungen, der aus dem Sonnenlicht herauswirbelte, und mit seinen starken Armen fing er Tabor auf und barg ihn an seiner Brust, während das Raithen langsamer wurde und zum Stehen kam. Lancelot, der hinter ihm herraste, lehnte sich in seinem Sattel zur Seite und hob den gefallenen Speer wieder auf. Dann ritten sie zusammen eilends nach Süden und den Abhang hinauf und hielten auf dem Grat an, auf dem Kim und Gereint und all die anderen standen.
»Ich glaube, er ist gerettet«, bemerkte der Krieger knapp. Tabor war weiß wie Asche, schien aber ansonsten unverletzt zu sein. Kim konnte sehen, wie er atmete.
Sie blickte
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