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Das Kind des Schattens

Titel: Das Kind des Schattens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guy Gavriel Kay
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können oder zu wissen, was es war. Es gab Erzählungen über ihn, die mit der Zeit zu Sagen wurden, zu Motiven für Wandteppiche oder für Kinderalpträume.
    Der Drache hatte überlebt und Fordaetha, die Königin von Rük, hatte ihn während der langen, langen Jahre, in denen der Entwirker eingekerkert war, in ihrem Eispalast im nördlichen Ödland gepflegt. Als die Jahre und Jahrhunderte vergingen, wurden seine Schwingen allmählich stärker. Er begann, längere und längere Flüge durch dieses weite und weglose Ödland auf dem Dach der Welt zu unternehmen.
    Er lernte fliegen. Und dann lernte er das geschmolzene Feuer seiner Zunge zu bändigen und dann hervorzuschleudern, er lernte es, brüllende Flammenzungen auszusenden, die in der weißen Kälte explodierten … hoch über den riesigen Eisschollen, die unablässig gegeneinander mahlten und aneinanderprallten.
    Er flog weiter und weiter, seine großen Schwingen schlugen die starre, kalte Luft, die Flamme seines Atems erleuchtete in unheimlichem, schmutzigem Gelb den nächtlichen Himmel über dem Eis, wo niemand ihn sehen konnte, außer der Königin von Rük in ihren kalten Türmen.
    Er flog so hoch, dass er manchmal über die Gletscherwände, über das titanische Gefängnis des kaltschultrigen Rangat zu den grünen Ländereien weit im Süden hinausblicken konnte. Während die rollende Zeit selbst die Sterne zu neuen Mustern verschob, gelang es Fordaetha gerade noch, den Drachen zurückzuhalten.
    Sie schaffte es, da sie in ihrem kalten Reich die Macht innehatte, und dann kam zur rechten Zeit ein Bote von Galadan, dem Wolfsfürsten, der verkündete, dass Rakoth Maugrim frei war und dass das schwarze Starkadh sich wieder erhoben hatte.
    Erst dann schickte sie ihn nach Süden. Und der Drache flog los und landete an einem Ort im Norden von Starkadh, der für ihn dort vorbereitet worden war, und traf Rakoth Maugrim. Der Entwirker lachte laut, als er das mächtigste Geschöpf seines Hasses jetzt voll ausgewachsen vor Augen sah.
    Diesmal hatte Rakoth gewartet, hatte die Bosheit von tausend Jahren ausgekostet und beobachtet, wie sein schwarzes Blut von dem Stumpf seiner abgetrennten Hand herabtroff. Er wartete und im Vollbesitz der Zeit ließ er den Berg in Flammen aufgehen, schuf erst den Winter und dann den Todesregen über Eridu. Und erst als das zu Ende ging, ließ er sein Heer in voller Stärke ausziehen und danach erst schickte er seinen Drachen aus, um zu sengen, zu brennen und zu vernichten. Erst zu allerletzt sollte dessen unerwartete Ankunft die Herzen all jener, die sich ihm entgegenstellten, zerschmettern.
    Und so geschah es, dass die Sonne und der halbe Himmel über jenem Schlachtfeld in Andarien verdeckt wurden, dass die Heere des Lichtes und der Finsternis, beide, durch die pulsierende Kraft des Windes aus den Schwingen des Drachen in die Knie gezwungen wurden. Das Feuer schwärzte den trockenen Boden des verödeten Landes Andarien, Meile über Meile in einen langen, verschmorten Streifen von doppelt verwüsteter Erde.
    Und so geschah es dann auch, dass Tabor dan Ivor sein Schwert zog und dass sein strahlendes Reittier sich in die Lüfte erhob und mit den Schwingen so schnell schlug, dass es in verschwimmender Geschwindigkeit mitten in die Wut dieses Windes hineinflog. Sie erhoben sich, waren schließlich allein, wie sie es ja von Anfang an gewusst hatten, sie schwebten in der verdunkelten Luft, strahlend, tapfer, bemitleidenswert klein und unmittelbar im Weg des Drachen.
    Unten auf dem Boden war Ivor dan Banor durch den Wind auf die Knie geworfen worden, nur einen Augenblick lang sah er nach oben, und das Bild seines Sohnes im Himmel prägte sich für immer in das Muster seines Gehirns. Dann drehte er sich weg und bedeckte sein Gesicht mit seinem blutdurchtränkten Ärmel, denn er konnte es nicht aushalten zuzusehen.
    Hoch über ihnen hob Tabor sein Schwert, um die Aufmerksamkeit des Drachen auf sich zu ziehen, aber das war nicht notwendig, denn er hatte sie bereits gesichtet. Tabor sah, dass er seine Geschwindigkeit beschleunigte und Atem holte, um aus dem Brennofen seiner Lungen einen Flammenstoß auf sie zuzuschicken. Er erkannte, dass er riesig und unaussprechlich hässlich war, grau-schwarze Schuppen bedeckten seinen Panzer und die graugrün gefleckte Haut darunter.
    Er wusste, dass nichts und niemand auf dem vom Wind gerüttelten Boden unter ihnen diesem Wesen widerstehen konnte. Und er wusste auch mit einer feinen, ruhigen Sicherheit … es war ein

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