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Das Kind des Schattens

Titel: Das Kind des Schattens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guy Gavriel Kay
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Eulengestalt hockte Darien unbehaglich auf dem Fenstersims und spähte nach drinnen. Es war niemand da. Er plusterte sich, unterdrückte eine würgende Angst, dann flammten seine Augen wieder auf, und er fand sich in seiner menschlichen Form wieder.
    Vorsichtig ließ er sich vom Fenster herabgleiten und setzte den Fuß schließlich in die Festung, in der er gezeugt worden war. Weit, weit unter ihm hatte seine Mutter in den Eingeweiden dieses Ortes gelegen, und an einem Morgen wie diesem war Rakoth Maugrim zu ihr gekommen und hatte getan, was er getan hatte.
    Darien blickte um sich. Es war, als sei es innerhalb dieser Wände immer Nacht: Das einzelne Fenster ließ kaum Sonnenlicht eindringen. Das Tageslicht schien zu sterben, wenn es Starkadh erreichte.
    Grünliche Leuchten, die in die Wände eingelassen waren, warfen ein unruhiges Licht auf sie. Es herrschte ein betäubender Gestank in diesem Raum, und als Dariens Augen sich an die Verderben bringende Struktur des Lichtes gewöhnt hatten, konnte er halbverzehrte Knochengerippe auf dem Boden liegen sehen. Es waren Svart Alfar, und ihre toten Körper stanken. Plötzlich verstand er, wo er war und warum hier ein Fenster eingelassen war: Dies war der Ort, wohin die Schwäne zurückkehren konnten, um zu fressen. Er erinnerte sich an den Geruch der drei Schwäne, die er getötet hatte. Jetzt war er davon umgeben.
    Die faulige Ausdünstung ließ ihn aufstoßen. Er stolperte auf das Innentor zu. Sein Fuß trat auf etwas Weiches, aus dem dann eine Flüssigkeit sickerte. Er schaute nicht hin, was es war. Er öffnete das Tor und fiel schon fast hinaus in den Gang, er keuchte und kümmerte sich nicht, ob er gesehen wurde.
    Und er wurde gesehen. Ein einzelner, massiver und mit scharfen Klauen bewehrter Urgach drehte sich um. Er war nur zwei Meter vor ihm. Er grunzte in ungläubigem Schrecken und öffnete sein Maul, um einen Alarmruf zu bellen … und starb. Darien reckte sich, seine Augen wurden wieder blau. Er senkte den Arm, den er nach vorne in Richtung auf den Urgach gestoßen hatte, und holte tief Atem. Macht pulsierte in ihm, es war eine triumphierende und freudvolle Macht. Niemals hatte er sich so stark gefühlt. Der Urgach war verschwunden, nichts deutete darauf hin, dass es ihn je gegeben hatte! Er war von ihm mit einem einzigen Aufwallen seiner Kraft vernichtet worden. Er lauschte nach dem Klang von Schritten, aber es gab keine. Es war kein Alarm geschlagen worden. Es würde ohnehin nichts ändern, dachte Darien.
    Seine Angst war verflogen. Statt ihrer empfand er ein rauschendes Gefühl der Macht. Er hatte nie gewusst, wie stark er war. Und er war noch nie so stark gewesen. Er befand sich in der Festung seines Vaters, an dem Ort, wo er gezeugt worden war. Hier lag das Fundament seiner roten Kraft.
    Er war ein würdiger Sohn, ein Verbündeter, vielleicht sogar gleichwertig. Er brachte mehr als einen Zwergendolch als Geschenk. Er brachte sich selbst. An diesem Ort konnte er mit einer Bewegung seiner Hand einen Urgach zu nichts reduzieren. Wie hätte sein Vater ihn zu Kriegszeiten nicht an seiner Seite willkommen heißen können?
    Darien schloss die Augen, öffnete seine inneren Finger und fand, was er suchte. Hoch über ihm war eine gestaltlose Gestalt zugegen, die sich unendlich von Dariens Wahrnehmung der Urgach und Svart Alfar unterschied, es war eine Präsenz, die anders war als alle anderen, die Aura eines Gottes.
    Er fand die Treppe und begann hinaufzusteigen. Er hatte jetzt keine Angst mehr. Stattdessen empfand er Kraft und eine Art von Freude. Die Scheide des Messers schimmerte bläulich in seiner Hand, das Diadem war stumpf und tot. Seine Hand fuhr nicht mehr nach oben, um es zu berühren, jedenfalls nicht mehr, seit er den Urgach getötet hatte.
    Während er hinaufstieg, tötete er zwei weitere Urgach auf dieselbe Weise mit der gleichen, vollkommen mühelosen Handbewegung, und er fühlte, wie die Kraft von seinem Bewusstsein nach draußen strömte. Er spürte, wie viel mehr noch in ihm lag. Hätte er das gewusst, hätte er gewusst, wie er diese Kraft anzapfen könnte, dachte er, hätte er den Dämon im Heiligen Hain ganz allein in Bruchstücke zerfetzt. Er hätte weder Lancelot noch einen anderen Beschützer gebraucht, den ihm seine Mutter sandte.
    Er verlangsamte nicht einmal seinen Schritt, als er an sie dachte. Sie war weit weg und hatte ihn weggeschickt, hatte ihn hierher geschickt. Und hier war er mehr, als er sich jemals hätte vorstellen können. Ohne zu

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