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Das Kind des Schattens

Titel: Das Kind des Schattens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guy Gavriel Kay
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anzubieten, damit irgend jemand irgendwo über seine Anwesenheit erfreut sein solle. Er konnte jetzt sprechen, sich bewegen und sehen.
    Er blickte an Rakoth vorbei aus den Fenstern dieses Ortes und gewahrte, was die schwarzen Schwäne weit im Süden sahen. Er überblickte das Schlachtfeld mit einer solchen Klarheit, dass er sogar einzelne Gesichter unterscheiden konnte. Sein Vater hatte keines. Erschrocken erkannte er Lancelot, dessen rechte Hand ganz blutbedeckt war, er schwang sein Schwert neben einem graubärtigen Mann, der einen glänzenden Speer führte.
    Hinter ihnen kämpfte eine Phalanx, teils beritten, teils zu Fuß, verzweifelt darum, sich gegen die unerhört großen Mengen der Finsternis zu behaupten. Und nun musste Darien zwinkern, um sich sicher zu sein, dass seine Augen sich nicht täuschten. Unter ihnen hielt ein Mann, den er kannte, einen rostigen Speer: Es war Shahar, sein anderer Vater. Jener Mann, der so weit weggewesen war, aber der ihn in die Luft geworfen und gehalten hatte, als er wieder nach Hause kam. Er war kein Kämpfer, das konnte Darien sehen, aber er schlug sich im Gefolge seines Führers mit verzweifelter Entschlossenheit.
    Das Bild wechselte, es waren die Augen eines anderen Schwans, und er sah die Lios Alfar, die in einem anderen Teil des Schlachtfeldes bedrängt wurden. Er kannte einen von ihnen noch von jenem Morgen unter dem Sommerbaum her. In seinem silbrigen Haar klebte Blut.
    Eine weitere Perspektive: diesmal eine schroffe Erhebung im Süden des Schlachtfeldes. Und auf dem Grat stand seine Mutter. Darien war es plötzlich, als ob er nicht atmen könne. Er blickte auf sie aus so ungeheurer Feme, er las den Schmerz in ihren Augen und die Erwartung des baldigen Verderbens. In seinem Herzen flammte ein weißes Feuer auf, und er erkannte, dass er nicht wollte, dass sie sterben solle.
    Keiner von ihnen sollte sterben: Weder Lancelot, Shahar noch der graue Mann mit dem Speer oder die weißhaarige Seherin, die hinter seiner Mutter stand. Er teilte ihren Gram, stellte er fest … es war sein eigener Schmerz, als ob das Feuer durch ihn durchliefe. Er war einer von ihnen.
    Er sah, wie die grässlichen Horden in unübersehbarer Zahl auf das schwindende Heer des Lichts losgingen: die Urgach, die Svart Alfar, die Slaugs, alle Werkzeuge des Entwirkers. Sie waren hässlich, und er hasste sie.
    Dort stand er nun und blickte auf eine Welt des Krieges, und er dachte an Finn. Am Ende, hier am wirklichen Ende lief der Faden wieder zu Finn zurück. Er hatte Darien ans Herz gelegt, er solle versuchen, alles zu lieben außer der Finsternis.
    Und er tat es. Er gehörte zu dieser bedrängten Armee; der Armee des Lichtes. Frei und ohne Zwang trat er schließlich zu ihnen. Seine Augen leuchteten, und er wusste, dass sie blau waren.
    Und so traf Darien hier in diesem Augenblick in der tiefsten Festung der Finsternis seine Wahl.
    Und Rakoth Maugrim lachte.
    Es war das Lachen eines Gottes, das Lachen, das erklungen war, als der Berg Rangat die Feuerhand erhoben hatte. Davon wusste Darien nichts. Zu dieser Zeit war er noch nicht geboren gewesen. Mit Schrecken jedoch erkannte er, dass er sich selbst weggeworfen hatte.
    Das Fenster des Raumes zeigte noch immer den Bergrücken über der Schlacht. Noch immer konnte er seine Mutter dort stehen sehen. Und Rakoth hatte beobachtet, als Darien auf sie blickte.
    Das Lachen hörte auf. Maugrim trat ganz nahe an ihn heran. Darien konnte sich nicht bewegen. Langsam erhob sein Vater den Stumpf seiner abgetrennten Hand und hielt ihn über Dariens Kopf. Die schwarzen Blutstropfen fielen nieder und brannten auf Dariens Gesicht. Er konnte nicht einmal schreien. Maugrim senkte seinen Arm. Er sagte: »Jetzt brauchst du mir nichts mehr zu erzählen. Ich weiß alles, was es zu wissen gibt. Du dachtest, du würdest mir ein Geschenk, ein Spielzeug bringen. Du hast mehr getan. Du hast mir meine Unsterblichkeit zurückgebracht. Du bist mein Geschenk!«
    So hatte er es einst ja auch gemeint, aber nicht in dieser Art und nicht jetzt, jetzt nicht mehr! Aber Darien stand an seinem Platz wie zu Eis erstarrt durch den Willen von Rakoth Maugrim, und er hörte, wie sein Vater fortfuhr: »Du verstehst nicht, oder? Sie waren alle dumm, unglaublich dumm. Sie sollte tot sein, damit sie niemals ein Kind gebären könne. Ich darf kein Kind haben! Hat das niemand von ihnen bemerkt? Ein Kind aus meinem Samen bindet mich an die Zeit, es webt meinen Namen in das Gewebe ein, und ich kann sterben!«
    Und

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