Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Kind des Schattens

Titel: Das Kind des Schattens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guy Gavriel Kay
Vom Netzwerk:
dann erschallte wieder das Lachen, es erschallte ein grausames Crescendo des Triumphes, das in Wellen über ihn herrollte. Als es zu Ende ging, stand Maugrim nur noch wenige Zentimeter von Darien entfernt, aus der Schwärze seiner Kapuze blickte er aus schrecklicher Höhe auf ihn nieder.
    Er sprach in einer Stimme, die kälter war als der Tod, älter als die kreisenden Welten: »Du bist dieser Sohn. Jetzt kenne ich dich, und ich werde mehr tun, als dich nur zu töten. Ich werde deine lebende Seele über die Mauern der Zeit hinauswerfen. Ich werde es so geschehen lassen, als hättest du niemals existiert. Du bist in Starkadh, und an diesem Ort habe ich die Macht, das zu tun.
    Wärest du außerhalb dieser Mauern gestorben, so wäre ich verloren gewesen. Aber jetzt nicht. Du bist verloren. Du hast niemals gelebt. Ich werde in Ewigkeit leben, und heute sind alle Welten und alle Dinge in allen Welten mein.«
    Darien konnte nichts, gar nichts tun. Er war unfähig, sich zu bewegen oder zu sprechen. Er konnte nur zuhören, wie der Entwirker noch einmal sagte: »Alle Dinge in allen Welten, angefangen mit diesem Spielzeug von den Lios, das du trägst. Ich weiß, was es ist, bevor ich deine Seele aus dem Gewebe sprenge.«
    Er dehnte sein Bewusstsein aus … Darien spürte, dass es ihn wieder berührte … um das Diadem für sich zu fordern, wie er den Dolch gefordert hatte, und an sich zu nehmen.
    Und in diesem Augenblick geschah es: Der Geist von Lisen vom Walde, für die dieses schimmernde Juwel des Lichtes vor so langer Zeit gefertigt worden war, reichte von der fernen Seite der Nacht, von jenseits des Todes herüber und vollzog den letzten Akt der vollkommenen Ablehnung der Finsternis.
    In dieser Festung des Bösen flammte das Diadem auf. Es leuchtete mit dem Licht von Sonne, Mond und Sternen, von Hoffnung und weltumspannender Liebe, mit einem so reinen, so blendend strahlenden Licht, dass Rakoth Maugrim durch den Schmerz geblendet wurde. Er schrie voller Qual auf. Seine Kontrolle über Darien zerbrach, wenn auch nur für einen Augenblick.
    Aber das war genug.
    Denn in diesem Augenblick tat Darien das einzige, was er tun konnte, um seine Wahl zu manifestieren. Er trat einen Schritt nach vorne, während das Diadem auf seiner Stirn herrlich strahlte und ihn nicht mehr zurückwies. Er machte den letzten Schritt auf der Dunkelsten Straße und spießte sich selbst auf dem Dolch auf, den sein Vater hielt.
    Lökdal, das Geschenk, das Seithr vor tausend Jahren Colan gegeben hatte, durchbohrte sein Herz. Und Maugrim Rakoth, geblendet durch Lisens Licht und sterblich, weil er einen Sohn gezeugt hatte, tötete diesen Sohn mit dem Dolch der Zwerge, und er tötete ohne Liebe in seinem Herzen. Im Sterben hörte Darien noch den letzten Schrei seines Vaters, und er wusste, er war in jener Ecke von Fionavar und in allen Welten, die von der Hand des Webers in die Zeit gesponnen waren, zu hören: Es war jener Schrei, der den Tod von Rakoth Maugrim bezeichnete.
    Darien lag auf dem Boden. Die strahlende Klinge stak in seinem Herzen. Mit schwindendem Augenlicht blickte er zum hohen Fenster hinaus und sah, dass der Kampf auf der fernen Ebene aufgehört hatte. Das Sehen fiel ihm nun schwerer, das Fenster schwankte, und alles verschwamm vor seinen Augen. Aber das Diadem leuchtete noch immer. Er griff nach oben und berührte es zum letzten Mal. Das Fenster begann jetzt noch heftiger zu zittern, der Boden des Raumes wankte, ein Stein krachte von oben hernieder, weitere Steine folgten. Rings umher begann Starkadh in sich zusammenzustürzen. Mit Maugrims Verderben verfiel auch Starkadh zu nichts.
    Er fragte sich, ob irgend jemand verstehen würde, was geschehen war. Er hoffte es. Dann würde vielleicht jemand rechtzeitig zu seiner Mutter gehen und ihr von der Wahl erzählen, die er getroffen hatte. Die Wahl für das Licht und die Liebe.
    Er erkannte, dass es stimmte. Er starb in Liebe, und er starb durch Lökdal. Flidais hatte ihm auch gesagt, was dieser Teil bedeutete, und vielleicht hätte er dieses Geschenk weitergeben dürfen. Aber das Muster auf dem Griff hatte er niemandem auf die Stirn gezeichnet, und ohnehin hätte er kein lebendes Wesen mit seiner Seele belasten wollen, dachte er.
    Und das war fast sein letzter Gedanke. Der allerletzte betraf seinen Bruder, der mit ihm auf den weichen Schneewehen gespielt hatte, als er noch Dari gewesen und Finn noch zugegen war, ihn liebte und ihm gerade genug über die Liebe sagen konnte, um ihn zum Licht

Weitere Kostenlose Bücher