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Das Kind des Schattens

Titel: Das Kind des Schattens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guy Gavriel Kay
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das Symbol des Gottes, war er eine Bestätigung des Lebens.
    Er hatte die Kälte von Maugrims Winter nicht gespürt, war ohne Mantel in einer schlimmen Nacht gewandert. Später hatte er vor dem Seelenverkäufer auf dem Meer gewarnt, und sein Schrei hatte Liarnan zu ihrer Verteidigung herangerufen. Und dann war er noch ein zweites Mal gekommen, um ihr Leben auf den Felsen der Bucht am Anor zu retten. Er war die Existenz des Lebens, des Saftes des Sommerbaums, der sich aus der grünen Erde erhob, um den Regen des Himmels zu trinken und die Sonne zu grüßen.
    Und nun, da der Krieg vorüber und Maugrim tot war, begann der Saft in ihm wieder zu strömen. Seine Hände zitterten, und er fühlte, dass in ihm etwas wuchs, sich etwas aufbaute, dass es tief und stark war. Es war der Pulsschlag des Gottes, der sein eigener war. Er blickte auf die ruhige Ebene hinab. Im Nordwesten ritt der Großkönig Aileron zurück, begleitet von Arthur auf der einen und Lancelot auf seiner anderen Seite. Hinter ihnen leuchtete die untergehende Sonne, und in ihrem Haar strahlten Lichtkronen.
    Das waren kämpferische Gestalten, dachte Paul: Krieger, die im Dienst von Macha und Nemain, den Kriegsgöttinnen, standen. Genauso wie Kimberly mit ihrem Baelrath, Tabor mit seinem schimmernden Reittier, dem Geschenk Danas, das aus dem roten Vollmond geboren war. Und selbst Dave Martyniuk gehörte dazu mit seiner wilden, überwältigenden Leidenschaft im Kampf, mit Ceinwens Geschenk an seiner Seite.
    Ceinwens Geschenk …
    Paul reagierte schnell. Sein ganzes Leben lang hatte er die Intuition, um Verbindungen herzustellen, die andere niemals auch nur sehen konnten. Noch während dieser Gedanke in seinem Geist wie ein Steppenfeuer aufloderte, drehte er sich um. Er wandte sich um, suchte nach Dave, und auf seinen Lippen formte sich ein Schrei. Fast noch wäre er rechtzeitig gekommen.
     
    So war es auch bei Dave. Als die barbarische Gestalt, die unter den Leichen fast begraben war, plötzlich hervorsprang, siegten Daves Reflexe über seine Müdigkeit. Er fuhr herum, warf seine Hände hoch, um sich zu verteidigen. Hätte diese Gestalt auf sein Herz oder seine Seele gezielt, so hätte Dave ihn zurückschlagen können. Aber der Angreifer versuchte nicht, ihm das Leben zu nehmen, noch nicht. In diesem letzten kritischen Moment zuckte eine Hand hervor und griff mit unfehlbarer Genauigkeit nach Daves Seite, nicht nach seinem Herzen oder seiner Kehle. Sie suchte und fand den Schlüssel zu all dem, wonach er sich so lange gesehnt hatte.
    Die Schnur zerriss, und Dave hörte, wie Paul Schafer oben auf dem Berg laut aufschrie. Er packte seine Axt, aber es war schon zu spät, es war viel zu spät.
    Schon erhob sich Galadan behände aus einer Rolle, die ihn drei Meter weiter weg getragen hatte, und stand nun unter der Westsonne auf dem blutdurchtränkten Boden, und er hielt Oweins Horn in seiner Hand.
    Und der Wolflord von den Andain, der so lange Jahre einen Traum geträumt hatte, der auf einer niemals endenden Suche war … nicht nach Macht oder Herrschaft über irgend jemand oder irgend etwas, sondern nach reiner Vernichtung, nach dem Ende aller Dinge … der blies nun mit all der Kraft seiner bitteren Seele in das mächtige Horn und rief Owein und die Wilde Jagd herbei, um das Ende der Welt herbeizuführen.
    Kim hörte, wie Paul seine Warnung ausstieß, und dann schienen im selben Augenblick alle anderen Geräusche zu verstummen, und sie hörte das Horn zum zweiten Mal.
    Sein Klang gehörte zum Reich des Lichtes, daran erinnerte sie sich. Die Agenten der Finsternis konnten ihn nicht hören. In jener frostigen Nacht, als das Mondlicht auf den Schnee fiel und ferne Sterne am Himmel blinkten, hatte Dave vor der Höhle ins Horn gestoßen, um die Jagd zu entfesseln.
    Jetzt war es anders. Es war Galadan, der nun blies: Galadan, der tausend Jahre in einsamer, arroganter Bitterkeit gelebt hatte, nachdem Lisen ihn zurückgewiesen hatte und gestorben war. Er war ein Werkzeug Maugrims, aber er verfolgte dabei immer seine eigenen Pläne, seine eigenen unveränderlichen Pläne.
    Als er seine Seele in das Horn sandte, klang es nach dem Licht trauernder Kerzen in einer dunklen Höhle, nach dem Halbmond, der durch kalte, vom Wind zerzauste Wolken glitt, nach Fackeln, die in einem dunklen Wald vorbeizogen, aber niemals nahe genug herankamen, um mit ihrem Leuchten zu wärmen. Es klang nach einem bleichen Sonnenaufgang auf einem winterlichen Strand, nach dem blassen, zuckenden Licht

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