Das Kind des Schattens
etwas bedeuten. Die Seherin in Kim erfasste ein Bild, und sie trat nach vorne, um ihm Stimme zu verleihen. Aber vor ihr stand bereits Loren, auch er hatte es schon wahrgenommen. Er hielt Amairgens Stab hoch in die Luft und blickte zu Owein und den sieben Königen auf. Sie klagten und stöhnten laut mit immer denselben Worten, und der Klang ihrer Stimmen pfiff wie der Wind über Andarien.
»Iselen hat seinen Reiter verloren!« schrie die Wilde Jagd in Angst und Verzweiflung, und trotz all ihrer Traurigkeit empfand Kim ein schnelles Aufkeimen von Hoffnung, als Loren mit seiner Stimme das Klagen der Könige in der Luft übertönte.
»Owein!« schrie er. »Ihr habt das Kind wieder verloren. Ihr könnt nicht reiten. Ihr könnt nicht jagen im Himmelsgebiet!«
Hinter Owein und seinem schwarzen Ross kurvten und kreisten die Könige der Wilden Jagd in wahnsinniger Wut. Doch Owein zügelte den schwarzen Cargael, so dass er bewegungslos über Lorens Kopf stand, und als er dann sprach, war seine Stimme kalt und mitleidlos. »Das ist nicht wahr«, stellte er richtig. »Wir sind frei. Wir sind durch Macht zur Macht gerufen worden. Es gibt niemand hier, der uns beherrschen kann. Wir werden reiten und werden unseren Durst mit Blut stillen!«
Er erhob sein Schwert, seine Klinge leuchtete rot im Abendlicht, und er ließ den wilden nachtschwarzen Cargael sich hoch aufbäumen. Das Klagen der Könige verwandelte sich in schreiende Wut. Sie beendeten ihr schreckhaftes Kreisen und Tänzeln im Himmel und ordneten ihre grauen Rosse hinter Cargael ein.
So war also alles umsonst gewesen, dachte Kim. Sie wandte ihren Blick von der Jagd zu Finns Körper hinüber, der verkrümmt am Boden lag. Es hatte nicht gereicht. Weder sein Sturz noch Dariens, Diarmuids und Kevins Tod noch Rakoths Untergang. Das alles hatte nicht gereicht, und hier am Ende war es Galadan, dessen altes Verlangen gestillt wurde. Die weiße Iselen blitzte nun reiterlos am Himmel, hinter den anderen Reitern der Jagd. Acht Schwerter wurden geschwungen, neun Pferde schlugen mit ihren Hufen aus, als die Jagd sich anschickte, durch den Sonnenuntergang durch die Finsternis zu reiten.
»Halt!« schrie Brendel von den Lios Alfar.
Noch während er sprach, vernahm Kim hinter ihnen den Klang eines Liedes, der über den steinigen Boden der Ebene zu ihnen drang. Noch bevor sie sich umdrehte, wusste sie bereits, wer es war, denn sie kannte diese Stimme.
Über die zerstörte Ebene von Andarien näherte sich Ruana von den Paraiko mit riesigen Schritten, um die Wilde Jagd zu binden, wie Connla sie vor langer Zeit gebunden hatte.
Owein senkte langsam sein Schwert. Die Könige hinter ihm verstummten. Und in diesem Schweigen hörten sie alle die Worte, die Ruana sang, als er näher herankam:
Aus dem Schlaf wird erwachen der Flamme Brand.
Das Horn wird rufen die königlichen Mannen.
Auch wenn sie dir antworten aus dem tiefen Land,
Darfst du sie dennoch niemals bannen,
Die verlassen zu Pferde Oweins schützende Hand
Und sich zum Führer ein Kind ersannen.
Dann war er unter ihnen und sang noch immer in seiner tiefen, zeitlosen Stimme. Er schritt an Loren vorbei bis zum äußersten Rand des Bergrückens, hielt dort an und blickte zu Owein hinauf.
Und dann rief Ruana in dem weiten Schwingen aus: »Himmelskönig, steck dein Schwert in die Scheide! Ich unterwerfe dich meinem Willen! Und ich bin einer, dessen Willen du gehorchen musst. Ich bin der Erbe Connlas, der dich durch die Worte, die du mich jetzt eben singen hörtest, in den Schlaf gebannt hat.«
Owein bewegte sich und entgegnete trotzig: »Wir sind gerufen worden, wir sind frei.«
»Und ich werde euch wieder binden«, erwiderte Ruana tief und sicher. »Connla ist tot, aber seine Kraft lebt in mir weiter, denn die Paraiko haben niemals getötet. Und obwohl wir jetzt und für immer verändert sind, verfüge ich noch immer über viel von dem, was wir gewesen sind. Ihr seid aus eurem langen Schlaf nur durch die Ankunft des Kindes befreit worden. Doch das Kind ist nicht mehr da, Owein, es ist verloren, wie damals, als Connla euch zur Ruhe gelegt hat. Ich verlange von neuem: Steckt eure Schwerter in die Scheide! Durch die Kraft von Connlas Zauberspruch unterwerfe ich euch meinem Willen!«
Einen Augenblick lang … und dieser Augenblick war kraftgeladen wie kaum einer, seit die Welten gesponnen worden waren … stand Owein bewegungslos in der Luft über ihnen. Dann senkte er langsam, sehr langsam seine Hand und ließ sein
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