Das Kind des Schattens
Andarien. Mehr blieb ihr nicht, sie war leer, eine hohle Schale, wenn das nicht genügte, war alles verschwendet, bitter vergeudet worden.
Finn drehte sich um. Er zog seine aufbäumende Stute am Zügel, zwang sie herum, um von neuem Leilas körperlosen Geist vor sich zu haben. Die Stute widersetzte sich und schlug wütend aus. Sie wollte Rauch und Feuer durch und durch, sie wollte Blut. Finn packte die Zügel mit beiden Händen und kämpfte solange mit ihr, bis sie in der Luft stillstand. Er blickte auf Leila, und sie sah, dass er sie jetzt erkannte, dass er nahe genug zurückgekommen war, um sie zu erkennen.
Und so sagte sie sanft in ihrer gemeinsamen Geistverbindung, ohne Macht, nur mit Trauer und Liebe: O Finn, bitte komm zurück, komm zurück zu mir.
Sie beobachtete, wie sich jetzt seine Schattenaugen weiteten, und sie fühlte sich an seine frühere Gestalt erinnert, und gerade bevor sie das Bewusstsein verlor, glaubte sie in ihrem Geist seine Stimme zu hören, er sagte nur eines, aber das war auch das einzig Wichtige: ihren Namen.
Kim konnte auf ihrem Ring auch nicht die geringste Spur eines Flackerns erkennen, und es war ihr klar, dass es auch nicht mehr dazu kommen würde. Sie war macht- und kraftlos, nur Mitleid und Gram waren ihr geblieben, aber das zählte ja nicht. In einem Teil ihres Geistes war sie sich bitter und verzweifelt bewusst, dass sie es gewesen war, die in jener Nacht am Rande von Pendaran die Jagd entfesselt hatte. Wie hatte sie nicht sehen können, was später folgen würde?
Aber andererseits wusste sie auch, dass die Lios und die Dalrei am Adein alle gestorben wären, wenn nicht Owein eingegriffen hätte. Sie hatte keine Zeit gehabt, die Zwerge zu erreichen, Aileron und die Männer von Brennin hätten allein kämpfen müssen und wären aufgerieben worden. Die Prydwen wäre von Cader Sedat zurückgekehrt, nur um den Krieg verloren zu sehen und Rakoth Maugrims Triumph zu erleben.
Owein hatte sie gerettet … um sie jetzt zu zerstören, so schien es.
So liefen ihre Gedanken, als Finn seine weiße Stute von den anderen vom Himmel weglenkte und sie nach Süden zu führen begann. Kim legte die Hand auf den Mund. Sie hörte, wie Jaelle atemlos etwas flüsterte, sie konnte nicht verstehen, was es war.
Aber sie hörte, dass Owein laut aufschrie und hinter Finn herrief. Die Himmelskönige klagten. Finn kämpfte mit seinem Pferd, das auf Oweins Schrei reagiert hatte. Die Stute schlug um sich, bockte und bäumte in dem hohen Luftreich.
Aber Finn behielt die Oberhand. Zwar wankte er auf dem Rücken des Pferdes, aber er riss an seinen Zügeln, zwang es in Richtung Süden, weg von den Königen und Owein, weg vom Blut der herannahenden Jagd. Wieder murmelte Jaelle vor sich hin, und es klang leidvoll und schmerzerfüllt.
Finn trat seinem Ross, das sich wieder aufbäumte, in die Flanken. Es wieherte in trotziger Wut auf. Das Klagen der Könige war wie das Heulen eines Wintersturmes. Sie waren Rauch und Nebel, sie hatten feurige Schwerter, sie waren der Tod im rötlichen Himmel.
Und dann veränderte sich das Klagen. Alles veränderte sich. Kim schrie in hilflosem Schrecken und Mitleid laut auf. Denn fern im Westen, vor der untergehenden Sonne warf Iselen ihren Reiter ab, aber nicht aus Liebe wie Imraith-Nimphais.
Und Finn dan Shahar wurde aus großer Höhe herabgeschleudert, er war nicht mehr Schatten und Rauch, er wurde wieder zu einem sterblichen Jungen; noch im Fallen nahm er seine menschliche Gestalt wieder an, wurde von ihr ergriffen, und er prallte kopfvoraus auf der Ebene von Andarien auf und blieb vollkommen regungslos dort liegen.
Diesen Sturz hatte niemand aufgefangen. Kim beobachtete, wie er zur Erde niedersauste, sie sah ihn dort zusammengekrümmt liegen, und sie erinnerte sich lebhaft und schmerzlich an jene Winternacht im Wald von Pendaran, als das wandernde Feuer, das sie trug, die Wilde Jagd erschreckt hatte.
Erschreckt sie nicht, ich bin hier, hatte Finn Owein zugerufen, der sich auf seinem schwarzen Ross hoch über Kim aufgerichtet hatte. Und Finn war nach vorne getreten, hatte unter den Königen die fahle, weiße Iselen bestiegen und hatte sich verändert: Auch er war zu Rauch und Schatten geworden, er war das Kind an der Spitze der Jagd.
Jetzt nicht mehr. Er war jetzt nicht mehr Iselens Reiter im Himmel, der zwischen den Sternen einherjagte. Er war wieder sterblich, er war herabgefallen und höchstwahrscheinlich tot.
Doch sein Sturz bedeutete etwas, oder konnte zumindest
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