Das Kind des Schattens
künftigen Geschehnissen spielen sollten. Irgend etwas hat mich von innen her getrieben. Seherin, ich spürte Zorn in mir und Hass gegen Maugrim, und nichts davon hatte ich jemals zuvor empfunden.«
»Ich weiß es«, bemerkte Kim. »Es tut mir leid, Ruana.«
Wieder schüttelte er seinen Kopf. »Gräme dich nicht. Der Preis für unsere Heiligkeit wäre es gewesen, dass die Wilde Jagd ungehindert geflogen wäre und alle lebenden Menschen, die hier versammelt sind, getötet hätte. Es war Zeit, Seherin von Brennin, höchste Zeit für die Paraiko, sich wirklich in die Armee des Lichtes einzuordnen.«
»Habe ich dann deine Verzeihung?« fragte sie kleinlaut.
»Du hattest sie bereits im Kanior.«
Sie erinnerte sich: Die Geistbilder von Kevin und Ysanne, die unter den dichtgedrängten Toten der Paraiko schwebten, von ihnen geehrt und durch die tiefen Worte der Beschwörung in Ruanas Lied herbeigerufen wurden.
Sie nickte. »Ich weiß«, sagte sie. Rings um sie war Schweigen, Kim blickte zu dem ernsten, weißhaarigen Riesen auf. »Musst du jetzt gehen? Musst du ihnen zu der Höhle folgen?«
»Bald«, erwiderte er. »Aber es wird hier noch etwas geschehen müssen, glaube ich, und ich werde bleiben, um es mitzuerleben.«
Und bei diesen seinen Worten erwachte auch in Kimberly wieder die Aufmerksamkeit für die Gegenwart, die sie verdrängt hatte. Sie blickte an Ruana vorbei und sah Galadan auf der Ebene. Er war von sehr vielen Männern umringt, die meisten von ihnen kannte sie. Sie hatten ihre Schwerter gezogen und zielten mit ihren Pfeilen auf das Herz des Wolflord, aber keiner von ihnen bewegte sich oder sprach, auch Galadan nicht. In der Nähe des Kreises stand Arthur mit Guinevere und Lancelot.
Auf Befehl des Großkönigs warteten sie alle auf Paul Schafer, der weiter drüben im Westen neben dem Körper von Finn dan Shahar kniete.
Als Leila die Axt hob, wusste es Jaelle. Wie hätte es die Hohepriesterin nicht wissen können? Es war das tiefste Sakrileg, das es gab, und irgendwie überraschte es sie überhaupt nicht.
Sie hörte es … und jede Priesterin in Fionavar hörte es … als Leila die Axt auf den Altarstein schmetterte und Finn in schrillen Worten den Befehl zurief, zu ihr zu kommen, einen Befehl, der sich aus der Blutkraft von Danas Axt speiste. Und Jaelle hatte die Schattengestalt des Jungen auf seinem fahlen Pferd gesehen, sie beobachtete, wie er wegzureiten sich anschickte und dann abstürzte.
Dann kam der einzelne Paraiko zu ihnen, unterwarf die Wilde Jagd Connlas Beschwörungsspruch, und Jaelle sah, wie sie nach Süden wegrasten.
Erst, als sie verschwunden waren, erlaubte sie sich, ihre Schritte nach Westen zu der Stelle zu lenken, wo Finn lag. Zuerst ging sie nur, dann aber begann sie zu rennen, denn um Leilas willen wollte sie rechtzeitig kommen. Sie bemerkte, dass das Diadem, das ihr Haar zurückhielt, herabfiel, aber sie nahm sich nicht die Zeit, es wieder aufzuheben. Und während sie mit wehendem Haar dahineilte, dachte sie an das letzte Mal, als diese Verbindung geschmiedet worden war, damals als Leila gehört hatte, wie die grüne Ceinwen die Erinnerung an die Schlacht in den blutigen Ufern des Adein zurückgerufen hatte.
Jaelle entsann sich der Worte, die sie damals selbst mit der Stimme der Göttin gesprochen hatte: Es ist Tod darin, hatte sie gesagt, und wusste, dass es stimmte.
Sie kam zu der Stelle, wo er lag, sein Vater war bereits da. Sie erinnerte sich an Shahar aus der Zeit, als er in den Monaten nach Dariens Geburt nach Hause gekommen war, es war die Zeit, in der die Priesterinnen der Dana, die von dem Geheimnis wussten, Vae dabei geholfen hatten, ihr neues Kind aufzuziehen.
Er saß auf dem Boden und hielt den Kopf seines Sohnes im Schoß. Immer und immer wieder streichelten seine schwieligen Hände die Stirn des Knaben. Ohne zu sprechen, blickte er auf, als Jaelle sich näherte. Finn lag bewegungslos mit geschlossenen Augen. Sie wurde sich bewusst, dass er jetzt wieder sterblich war. Er sah genauso aus wie damals in den Tagen des Kinderspiels, des Ta’Kiena, das sie im Park am Ende der Amoßstraße gespielt hatten. Damals hatte ihn Leila mit verbundenen Augen auf den längsten Weg gerufen.
Nun kam noch jemand herbei. Jaelle blickte über ihre Schulter und stellte fest, dass es Pwyll war.
Er reichte ihr das silberne Diadem. Keiner von beiden sprach. Sie blickten auf Vater und Sohn hinab und knieten dann auf dem steinigen Boden neben dem Jungen nieder.
Er lag im Sterben.
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