Das Kind des Schattens
hinaufstieg und dann in südöstlicher Richtung weiterging, bis er zu der Stelle kam, wo sein Vater stand. Die Abendsonne ruhte auf ihnen. In ihrem Licht konnten sie erkennen, wie Cernan seine Arme ausbreitete und sein gebrochenes, streunendes Kind umarmte.
Einen Augenblick lang standen sie so. Dann war es, als schwände das Licht auf der Erhebung plötzlich, und sie waren ihren Blicken entzogen. Kim schaute nach Westen und sah, dass Shahar, jetzt nicht mehr als eine Silhouette vor dem Licht, noch immer auf dem steinigen Boden saß und Finns Kopf in seinem Schoß hielt. Ihr Herz war zu groß für ihre Brust. So viel Herrlichkeit und so viel Schmerz ineinander verwoben und für immer unauflösbar, so fürchtete sie. Aber es war vorüber. Jetzt schienen sie ein Ende erreicht zu haben.
Doch als sie sich wieder Paul zuwandte, bemerkte sie, dass sie keineswegs recht hatte. Sie schaute zu ihm hin und folgte dann seinem Blick, der auf Arthur Pendragon fiel, der die ganze Zeit ruhig dabeigestanden hatte.
Neben ihm war Guinevere. Ihre Schönheit und die Einfachheit ihrer Schönheit war in dem Augenblick so stark, dass es Kim schwer wurde, sie anzuschauen. Schräg hinter ihr stand in geringer Entfernung Lancelot du Lac, er lehnte auf seinem Schwert und blutete aus mehr Wunden, als Kim zählen konnte. Aber seine sanften Augen waren klar und ernst, und es gelang ihm zu lächeln, als er ihren Blick auffing. Dieses Lächeln von einem Mann, mit dem sich kein Lebender und Toter jetzt oder in der Zukunft messen konnte, war so sanft und so freundlich, dass Kim glaubte, es könnte ihr das Herz brechen.
Sie blickte auf diese drei Menschen, die zusammen in der Dämmerung standen, und unzählige Gedanken gingen ihr durch den Kopf. Sie wandte sich wieder zu Paul zurück und sah, dass er jetzt in der Dunkelheit von einem gewissen Strahlen umgeben war. Alle Gedanken verließen sie. Darauf war sie überhaupt nicht vorbereitet. Sie wartete. Und dann hörte sie ihn ebenso ruhig wie zuvor sagen: »Arthur, das Ende des Krieges ist gekommen, und Ihr seid nicht von uns geschieden. Dieser Platz hieß einst Camlann, und Ihr steht hier noch immer lebend vor uns.«
Der Krieger erwiderte nichts. Das Ende seines Speers ruhte auf dem Boden, und seine breiten Hände umschlossen den Schaft. Die Sonne ging unter. Im Westen schien der Abendstern, der nach Lauriel benannt worden war, heller zu strahlen als jemals zuvor. Noch immer zeigte sich ein schwaches Leuchten am westlichen Himmel, aber bald würde es ganz dunkel sein. Einige Männer hatten Fackeln herbeigetragen, aber noch nicht angezündet. Paul fuhr fort: »Krieger, du hast uns das Muster mitgeteilt. Du hast uns erzählt, wie es immer und immer gewesen ist, wenn du gerufen wurdest. Arthur, es hat sich verändert. Du hast erwartet, du würdest in Cader Sedat sterben, und es geschah nicht. Dann dachtest du, du würdest dein Ende im Kampf mit Uathach finden, und es geschah nicht.«
»Ich glaube, ich hätte es dort finden sollen.« Das waren seine ersten Worte.
»Ich glaube es auch«, pflichtete Paul bei. »Aber Diarmuid hat es anders bestimmt. Er hat es anders werden lassen. Wir sind keine Sklaven am Webstuhl, wir sind nicht in Ewigkeit an unser Schicksal gebunden, nicht einmal Ihr, mein Herr Arthur. Nicht einmal Ihr, nach so langer Zeit.«
Er hielt inne. Auf der Ebene war es vollkommen still. Kim war es dann, als ob sich ein Wind erhob, der aus allen Richtungen und aus keiner Richtung zu kommen schien. In diesem Augenblick empfand sie, dass sie im absoluten Zentrum des Geschehens standen, am Achsenbaum der Welten. Sie hatte eine Vorahnung eines Höhepunktes, der noch kommen würde und der weit jenseits aller Worte liegen würde. Es war tiefer als der Gedanke: Es war ein Fieber im Blut, eine andere Art von Puls. Sie war sich der schweigsamen Anwesenheit von Ysanne in sich selbst bewusst. Und dann nahm sie noch etwas anderes wahr. Ein neues Licht, das in der Dunkelheit schien.
»O Dana!« hauchte Jaelle, als sei es ein Gebet. Sonst sprach niemand. Im Osten stieg der Vollmond über Fionavar auf, und das geschah zum zweiten Mal in einer Nacht, die keine Vollmondnacht war.
Aber diesmal war er nicht rot, es war keine Herausforderung, es war kein Kriegsruf. Er war silbern und strahlend herrlich, wie der Vollmond der Göttin auch sein sollte, er leuchtete wie ein Traum der Hoffnung, badete Andarien in einem milden und wohltuenden Licht.
Paul blickte nicht einmal nach oben. Auch der Krieger tat es
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