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Das Kind des Schattens

Titel: Das Kind des Schattens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guy Gavriel Kay
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Liarnans hatte die Toten überspült.
    Paul ließ seine Arme sinken. Er sagte nichts und stand vollkommen bewegungslos. Der Wind wurde ruhiger. Und in dieser sanften Brise steuerte Flidais von den Andain, der vor langer Zeit einstmals Taliesin in Camelot gewesen war, sein Fahrzeug zu ihnen heran und raffte das Segel.
    Es war sehr, sehr still. Dann stand Flidais im Heck seines Bootes, blickte direkt auf Kimberly und sprach in dieses Schweigen hinein: »Aus der Finsternis dessen, was ich dir angetan habe, soll Licht werden. Erinnerst du dich, Seherin, erinnerst du dich an das Versprechen, das ich dir gab, als du mir den Namen verraten hast?«
    »Ich erinnere mich«, flüsterte Kim.
    Das Sprechen fiel ihr schwer. Aber sie lächelte, lächelte durch ihre Tränen. Es kam, es war gekommen.
    Flidais wandte sich Arthur zu, und indem er sich tief verbeugte, lud er ihn mit demütiger Ehrerbietung ein: »Mein Herr, ich bin gesandt, um dich heimzubringen. Willst du an Bord kommen, so dass wir im Licht des Webstuhls zu den Hallen des Webers segeln können?«
    Rings um sich hörte Kim Männer und Frauen leise aus Freude weinen. Arthur regte sich. In seinem Gesicht standen Stolz und Glück, nun da er endlich verstand.
    Und genau in dem Augenblick, als das geschah, als ihm Befreiung vom Zyklus seines Grams angeboten wurde, sah Kim, wie dieses Strahlen wegschwand. Sie krampfte ihre Hände so fest zusammen, dass die Nägel in ihre Handflächen drangen.
    Arthur wandte sich zu Guinevere.
    Vielleicht wurden im Schweigen ihrer Augen unter jenem Mond tausend Worte gesprochen, vielleicht wurde eine Geschichte erzählt, die sooft in den Kammern des Herzens erzählt worden war, dass keine Worte mehr übrig blieben. Vor allem jetzt nicht. Nicht hier, nichts angesichts dessen, was geschehen war. Sie trat voller Anmut und mit unendlicher Sorgsamkeit nach vorne. Sie hob ihren Mund, küsste ihn voll auf die Lippen, um ihn zu verabschieden, dann trat sie wieder zurück.
    Sie sprach nichts, weinte nicht, bat um nichts. In ihren grünen Augen war Liebe und nur Liebe. In all ihren Tagen hatte sie zwei Männer, und nur zwei Männer geliebt, und jeder der beiden Männer hatte sie geliebt, und jeder der beiden den anderen. Aber so geteilt ihre Liebe auch war, so war sie trotzdem auch noch etwas anderes: eine Leidenschaft des Erduldens ohne Ende bis zum Ende der Welten.
    Arthur wandte sich so langsam von ihr ab, dass es schien, als liege das Gewicht der Zeit selbst auf ihm. Mit einer angstvollen Frage blickte er auf Flidais. Der Andain rang die Hände und zog sie dann hilflos wieder voneinander. »Ich darf nur dich fortführen, Krieger«, flüsterte er. »Wir müssen so weit fahren, das Wasser ist so groß.«
    Arthur schloss seine Augen. Konnte die Qual denn nicht enden, dachte Kim, konnte die Freude nie und niemals rein sein? Sie sah, dass Lancelot weinte.
    Und genau in diesem Augenblick wurden die Dimensionen des Wunders offenbar. In diesem Augenblick ging die Gnade nieder, denn Paul Schafer sprach nun wieder und erklärte: »Nein. Es ist erlaubt. Ich bin tief genug, um dies geschehen zu lassen.«
    Arthur öffnete seine Augen und blickte ungläubig auf Paul, der mit ruhiger Sicherheit nickte. »Es ist erlaubt«, wiederholte er.
    So kam schließlich doch noch Freude auf. Der Krieger wandte sich wieder zu seiner Königin, dem Licht und Kummer seiner Tage, und zum ersten Mal in so langer Zeit sahen sie ihn lächeln. Auch sie lächelte zum ersten Mal nach so langer Zeit und fragte erst dann, da es ihnen zugesichert war: »Wirst du mich mitnehmen? Gibt es einen Platz für mich unter den Sommersternen?«
    Durch ihre Tränen beobachtete Kim, wie Arthur Pendragon vortrat und Guineveres Hand nahm und wie sie zusammen in das Boot stiegen, das über den Wassern von Andarien schwamm. Der Anblick war fast zu stark für sie, zu reich. Sie konnte kaum atmen. Es war ihr, als sei ihre Seele ein Pfeil, der sich silbern im Mondlicht vom Bogen gelöst hatte und niemals mehr zurückkehren würde.
    Und dann kam noch etwas: Das alles besiegelte und dem ganzen die Form gab. Unter Danas leuchtendem Mond sah sie, dass sich Arthur und Guinevere zu Lancelot umwandten.
    Und wieder hörte sie, wie Paul mit einer so tiefen Kraft in der Stimme verkündete: »Es ist erlaubt, wenn ihr es so wollt. Der ganze Preis ist bezahlt worden.«
    Mit einem Freudenschrei, der sich seinem großen Herzen entrang, streckte Arthur sofort seine Hand aus. »O Lance, komm!« rief er aus. »O

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