Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Kind des Schattens

Titel: Das Kind des Schattens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guy Gavriel Kay
Vom Netzwerk:
dunkelsten Gottes, die unerklärlich wilde Karte im Set der Kriegskarten.
    Unberechenbar hatte seine Mutter ihn genannt, und vielleicht wusste sie mehr, als irgendein anderer von ihnen. Beruhigend war es allerdings nicht, denn wenn Darien wirklich unberechenbar war, so konnte er alles tun, konnte beide Wege einschlagen. Niemals, so hatte Brendel von den Lios Alfar gesagt, niemals hatte es irgendein lebendes Geschöpf in irgendeiner der Welten gegeben, das so gleichmäßig zwischen Licht und Finsternis hing. Niemanden hätte man mit diesem Knaben auf der Schwelle zur Männlichkeit vergleichen können. Er war anmutig und schön, seine Augen waren blau, außer wenn sie rot waren.
    Dunkle Gedanken. Aber auch wenn er sich an Brendel erinnerte, sah er kein Licht und keinen Weg zum Licht: Brendel musste er von dem Seelenverkäufer erzählen und von dem Schicksal all der Lios Alfar, die seit dem Bael Rangat als Antwort auf ihren Gesang nach Westen gesegelt waren. Oder zumindest musste er dabei stehen, während andere die Geschichte erzählten. Paul seufzte, er sah hinaus auf das Meer, das sich durch die Bewegung des Schiffes in auseinander laufenden Wellen kräuselte. Dort unten glitt Liranan, der unfassbare Gott des Meeres durch sein Element. Paul empfand eine Sehnsucht danach, ihn wieder zu beschwören, ihm Fragen zu stellen, ihn sogar um Trost zu bitten, denn er wusste, dass die Meersterne wieder an jenem Platz schienen, wo der Seelenverkäufer erschlagen worden war. Ja, das hätte er nun gerne getan.
    Aber zu fern war er nun von der Quelle der Kraft, die er gehabt hatte, viel zu unsicher war er sich, wie diese Kraft in geordnete Bahnen zu lenken sei, gerade wenn sie schnell bei der Hand war.
    Wenn er es genau betrachtete, gab es eigentlich nur eins, was er mit Sicherheit wusste. In seiner Zukunft würde es ein drittes Zusammentreffen geben, und bereits jetzt trieb es durch seinen Schlaf und durch seine Tagträumereien. Bis in die innersten Wege seines Blutes wusste Paul, dass er Galadan noch einmal und dann nicht wieder treffen würde. Sein und des Wolfsfürsten Schicksal waren ineinander verwoben, und nur der Weber wusste, wessen Faden abgeschnitten würde, wenn ihre Wege sich kreuzten.
    Er hörte, wie hinter ihm Schritte das Deck überquerten, die den Rhythmus von Lancelots stetigem Vorschnellen und Zurückweichen durchbrachen. Dann ließ sich eine leichte, äußerst deutliche Stimme vernehmen.
    »Mein Herr Lancelot, wenn es Euch gefällt, glaube ich, könnte ich Euch besser prüfen als Euer Schatten«, sagte Diarmuid dan Ailell.
    Paul drehte sich um. Lancelot, der ein wenig schwitzte, betrachtete Diarmuid mit ernster Höflichkeit in seinem Gesicht und in seiner Haltung. »Ich müsste dankbar sein«, erwiderte er mit sanftem Lächeln. »Es ist lange her, dass ich jemandem mit dem Schwert gegenübertrat. Habt Ihr vielleicht hölzerne Übungsschwerter an Bord?«
    Nun lächelte Diarmuid, seine Augen tanzten unter dem hellblonden Haar, das durch die Sonne noch heller glänzte. Die meisten Männer an Bord kannten diesen seinen Gesichtsausdruck sehr gut. »Leider nicht«, murmelte er, »aber ich möchte wetten, dass wir beide geschickt genug sind, unsere Klingen so zu führen, dass kein Schaden entsteht.« Er hielt inne. »Kein ernster Schaden«, verbesserte er sich.
    Es folgte ein kurzes Schweigen, das von einer dritten Stimme von weiter vorne an Deck durchbrochen wurde. »Diarmuid, das ist wohl kaum die richtige Zeit für Spiele, schon gar nicht für gefährliche Spiele.«
    Der Befehlston in Loren Silbermantels Stimme war nur noch deutlicher geworden, seit der Magier aufgehört hatte, Magier zu sein. Er blickte und sprach mit unveränderter Autorität, auch, so schien es, mit stärkerem Zielbewusstsein, seit Matt von den Toten zurückgekommen war und Loren sich feierlich in den Dienst seines alten Freundes gestellt hatte, der unter Banirlok König gewesen war, bevor er dann in Paras Derval zur Quelle eines Magiers wurde.
    Trotzdem traf die Reichweite seiner Autorität – und nicht nur der seinigen – dort auf eine Grenze, wo Diarmuids Wünsche begannen. Vor allem Wünsche dieser Art. Gegen seinen Willen verzog Paul seinen Mund, als er auf den Prinzen blickte. Aus den Augenwinkeln sah er, wie Erron und Rothe Papierzettel zu Carde hinüberreichten. Sie wetteten. Nachdenklich schüttelte er den Kopf. Diarmuid zog sein Schwert. »Wir sind auf dem Meer«, sagte er in übertrieben vernünftig klingendem Ton zu Loren, »und wir

Weitere Kostenlose Bücher