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Das Kind des Schattens

Titel: Das Kind des Schattens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guy Gavriel Kay
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das Erzählen.«
    Sie ließ es zu. Sie hatte es früher so oft erlebt, dass es ihr nicht mehr seltsam erschien. Diese Kraft gehörte zum Wesen der Schamanen, sie ging mit ihrer Blendung einher. Sehr kurze Zeit darauf seufzte Gereint, lehnte sich tief in Gedanken zurück. Sie wartete ein wenig und fragte dann: »Hast du getan, was du dort tun wolltest?«
    Er nickte.
    »War es sehr schwierig?«
    Er nickte ein weiteres Mal. Mehr sagte er nicht, aber sie kannte ihn seit langem, und sie war die Tochter ihres Vaters. Auch hatte sie sein Gesicht gesehen, als er reiste. Sie empfand eine innere Aufwallung von Stolz. Gereint gehörte zu ihnen, und was auch immer er getan hatte, es war etwas sehr Großes.
    Sie hatte eine weitere Frage, fürchtete sich jedoch, sie zu stellen. »Ich bringe dir etwas zu essen«, sagte sie statt dessen und schickte sich an zu gehen.
    Gereint musste man jedoch selten Fragen stellen. »Liane«, murmelte er, »ich bin mir nicht vollkommen sicher, weil ich noch nicht stark genug bin, um bis nach Celidon zu reichen. Aber ich glaube, ich würde es wissen, wenn dort irgend etwas sehr Schlimmes geschehen wäre. Es geht ihnen gut, mein Kind. Wir werden später genauere Nachrichten haben, aber du kannst deiner Mutter überbringen, dass es ihnen gut geht.«
    Wie ein zweiter Sonnenaufgang brach in ihr die Erleichterung hervor. Sie warf ihre Arme um seinen Hals und küsste ihn von neuem.
    Und Gereint wehrte schroff ab: »Das ist noch immer kein Frühstück! Außerdem möchte ich dich darauf aufmerksam machen, dass in meinen Zeiten jede Frau, die das getan hat, darauf gefasst sein musste, noch viel, viel mehr zu tun!«
    Sie kam ganz außer Atem vor Lachen. »O Gereint, ich würde mich jederzeit mit Freuden zu dir legen, wenn du mich bätest.«
    Diesmal schien er verblüfft zu sein. »Also, das hat seit langer Zeit niemand mehr zu mir gesagt«, meinte er dann. »Ich danke dir, mein Kind. Aber kümmere dich ums Frühstück. Schicke mir deinen Bruder vorbei.«
    Sie war, die sie war: nicht zu bezähmen.
    »Gereint!« rief sie scheinbar erstaunt aus.
    »Ich wusste, dass du das sagen würdest!« grollte er. »Dein Vater hat seinen Kindern niemals die richtigen Manieren beigebracht. Das ist nicht lustig, Liane dal Ivor. Geh jetzt und hol deinen Bruder, er ist gerade aufgewacht.«
    Noch immer kichernd ging sie weg. »Und das Frühstück!« rief er hinter ihr her.
    Erst als er vollkommen sicher war, dass sie ihn nicht mehr hören konnte, erlaubte er sich zu lachen. Er lachte lange Zeit, denn er war tief zufrieden. Er war auf die Ebene zurückgekehrt, was er schon kaum mehr gehofft hatte, da er sich ja so weit über die Wellen hinausgewagt hatte. Aber das, weswegen er aufgebrochen war, hatte er wirklich vollbracht, und seine Seele hatte überlebt. Und was auch immer in Celidon geschehen mochte, so schlimm konnte es nicht sein, denn so schwach er auch war, hätte er es doch vom Augenblick seiner Rückkehr gewusst.
    So lachte er also einige Augenblicke lang und erlaubte sich … was nicht schwierig war …, sich auf sein Mahl zu freuen. Alles aber veränderte sich, als Tabor kam. Er versetzte sich ins Bewusstsein des Knaben und sah, was ihm geschah, dann las er, was die Seherin in Kath Meigol getan hatte. Daraufhin aber waren die Speisen ohne Geschmack, und in seinem Herzen war Asche.
    Zusammen mit der Hohenpriesterin spazierte sie im Garten hinter dem Tempel mit dem Kuppelgewölbe … wenn, so dachte Sharra insgeheim, diese winzige Umzäunung mit Recht als Garten bezeichnet werden konnte. Für eine Frau, die in Larai Rigal aufgewachsen war und die jeden Pfad, Wasserfall und auffallenden Baum in seinen Mauern kannte, hatte sich die Frage fast schon selbst beantwortet.
    Trotzdem gab es auch hier unerwartete Schätze. Sie hielt neben einem Silvainbeet inne, die Blüten schimmerten silbrig und staub-rosa. Sie hatte nicht gewusst, dass sie so weit im Süden noch wuchsen. In Cathal kannte man sie nicht: Es hieß, dass Silvain nur an den Ufern des Celyn-Sees in der Nähe von Daniloth gediehen. Sie waren die Blumen der Lios Alfar. Das sagte sie auch zu Jaelle.
    Die Priesterin blickte nur mit halber Aufmerksamkeit auf die Blumen. »Das war ein Geschenk«, murmelte sie. »Vor langer Zeit, als Ra-Lathen den Nebel über Daniloth gewoben hat und die Lios Alfar sich zurückzuziehen begannen, schickten sie uns diese Pflanzen, damit wir an sie denken sollten. Sie wachsen hier wie auch in den Palastgärten. Viele sind es nicht, der Boden

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