Das Kind des Schattens
damit ihren Eid.
Er schloss seine Augen. In seinem Gesicht breitete sich ein ekstatisches Strahlen aus. »Ah!« stöhnte er überwältigt auf, »ah!« Mehr kam nicht von seinen Lippen, er blieb stehen, wo er war, die Augen hatte er geschlossen, er hob den Kopf in den fallenden Regen, als sei es ein Segen, der aus dem Himmel kam.
Dann öffnete er seine Augen und fixierte sie mit einem ruhigen Blick. Mit einer Würde, die sie so kurz nach seinem Frohlocken nicht erwartet hatte, wandte er sich an sie: »Du hasst mich jetzt, und nicht ohne Grund. Aber höre mich, Seherin: Ich werde alles tun, was ich geschworen habe, und noch mehr. Du hast mich von meinem Verlangen befreit. Wenn die Seele hat, was sie braucht, kennt sie keine Sehnsucht mehr, und so geht es mir jetzt. Aus der Finsternis dessen, was ich dir angetan habe, soll Licht werden, und wenn ich darüber sterben muss.« Er streckte sich und nahm ihre Hand in die seinen. »Geht nicht in den Turm hinauf, er wird sonst wissen, dass dort Menschen sind. Ertragt den Regen und wartet auf mich. Ich werde euch nicht im Stich lassen.«
Dann rannte er fort auf seinen stummelartigen O-Beinen, aber sobald er den Wald erreichte, erschien seine Gestalt flüchtig und verschwommen, er war eine Kraft von Pendaran und bewegte sich in seinem Element.
Kim wandte sich wieder den anderen zu, die weiter unten am Strand auf sie warteten. In der Wut der Elemente standen sie eng zusammen. Instinktiv blickte sie auf ihre Hand hinab, aber nicht auf den Baelrath, der vollkommen verdunkelt war, sondern auf den Vellinstein um ihr Handgelenk. Und sie sah, dass er sich langsam vor und zurück drehte.
Es war also Kraft zugegen, Magie lag im Sturm. Sie hätte es wissen müssen, vom ersten Augenblick an, als der Wind sich erhob. Aber vom Augenblick an, da Jaelle sie hierhergebracht hatte, war keine Zeit geblieben, über irgend etwas nachzudenken als über Darien. Jetzt aber hatte sie Zeit, ein wenig Raum in der Stille inmitten der wilden Gewalt der Elemente.
Sie hob ihre Augen, blickte hinter den drei anderen Frauen und dem Lios Alfar hinaus aufs Meer, und sie sah das Schiff, das hilflos vor dem Wind in die Bucht getrieben wurde.
Kapitel 6
Lange Zeit hatte Coll von Taerlindel am Steuerruder seines Schiffes gegen den Wind gekämpft. Er hatte verzweifelt manövriert, und mit einer gewissen Brillanz gelang es ihm, die Prydwen, während die Dunkelheit sich schon herabsenkte, auf einem Kurs zu halten, der quer zur Richtung des Südwestwindes lief. Und dieser Kurs würde sie zu jenem Hafen zurückbringen, von dem aus sie in See gestochen waren. Er brüllte seine Befehle, seine Stimme drang durch den Sturm, die Männer der Südfeste mussten unaufhörlich von Segel zu Segel springen, sie raffen, gegen den Wind setzen, er kämpfte um jeden Zoll, der ihn in Richtung Osten bringen würde, er kämpfte gegen die Elemente, die ihn nach Norden drängten.
Es war eine Übung, die höchste Seemannskunst erforderte: Auf dem Deck eines wild umherschlingernden Schiffes musste er blitzschnell und instinktiv berechnen, musste er rohe Gewalt und hohen Mut aufwenden, denn mit der ganzen Kraft seiner angespannten Arme hielt er das Steuerruder gegen den Sturm, der das Schiff ständig von seinem Kurs abbringen wollte.
Und dabei war das nur Wind, nur der erste feine Regendunst. Der wirkliche Sturm, der massiv und düster steuerbords und hinter ihnen hing, sollte erst noch kommen. Und er kam und verschluckte alles, was vom Himmel noch übrig geblieben war. Sie hörten den Donner krachen, sahen, wie Blitz auf Blitz den Westen erleuchtete, sie spürten, wie der heulende Wind immer noch wilder wurde, durchnässt von der treibenden, blendenden Gischt schlitterten und glitten sie aus auf dem schwer bewegten Deck, mühten sich ab, um Colls ständigen lautgeschrienen Befehlen nachzukommen.
Er bewahrte die Ruhe, und mit angeborener vollendeter Kunstfertigkeit folgte er mit seinem Schiff den Wellentälern, lenkte es in die Wellenkämme, er schätzte den Seegang nach beiden Seiten ab und warf häufig einen Blick nach oben, um die Blähung der Segel und die Geschwindigkeit des aufkommenden Sturmes zu bestimmen. All dies tat er ruhig, aber mit einer wilden, leidenschaftlichen Intensität und mit nicht geringem Stolz. Und als er schließlich jenseits allen Zweifels erkannt hatte, dass ihm keine Chance blieb, gab er es auf.
»Dreht nach Backbord!« brüllte er mit derselben Stimme, die er auch in seinem erbitterten Kampf mit
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