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Das Kind des Schattens

Titel: Das Kind des Schattens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guy Gavriel Kay
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schrie die Seherin von Brennin in den Wind. Es war zu spät. Dariens Augen veränderten sich von neuem, als diese letzten Worte gesprochen wurden, und aus der Bitterkeit seines Gelächters hörte Brendel, dass sie ihn verloren hatten. Der Wind schwoll wieder an und brauste nun heftiger als zuvor, und lauter als die tiefen Trommelgeräusche des Waldes von Pendaran schrie Darien: »Falsch, Mutter! Alles falsch. Ich bin nicht hier, um zu wählen, sondern um gewählt zu werden!«
    Er zeigte auf seine Stirn. »Siehst du nicht, was ich dort trage? Erkennst du es nicht?« Ein weiterer Donnerschlag, lauter als alle vorhergehenden, und dann begann der Regen zu fallen. Aber dazwischen und dagegen erhob sich Dariens Stimme: »Dies ist Lisens Reif: Das Licht gegen die Finsternis … und es ging aus, als ich es aufsetzte!«
    Ein Wetterleuchten ließ den Himmel im Westen aufleuchten, dann wieder Donner. Und dann Darien: »Siehst du nicht? Das Licht hat sich von mir abgewendet, und nun auch du. Wahl? Ich habe keine! Ich gehöre zur Finsternis, die das Licht verzehrt, und ich weiß, wohin ich gehen muss!«
    Mit diesen Worten nahm er den Dolch, der vor seinen Füßen auf dem Strand lag, wieder an sich, und dann rannte er durch den peitschenden Regen nach Pendaran hinein und kümmerte sich nicht im geringsten um das bedrohliche Trommelgeräusch im Wald. Zurück blieben sechs Menschen am Strand, sie standen schutzlos im Gewitter, das nun herangekommen war, entblößt vor der aufgerissenen Wunde ihres Schreckens.
    Jennifer wandte sich um. Der Regen schoss hernieder, Brendel wusste nicht, waren es Tränen oder Regentropfen auf ihrem Gesicht.
    »Komm«, forderte er sie auf, »wir müssen nach drinnen gehen. Hier draußen ist es gefährlich bei diesem Unwetter!«
    Jennifer beachtete ihn nicht. Inzwischen waren die anderen drei Frauen herangekommen. Sie wandte sich Kim zu, wartete, erwartete etwas.
    Und sie erhielt es. »Was, in aller heiligen Dinge Namen, hast du getan!« schrie die Seherin von Brennin in den Sturm. Es war schwierig, aufrecht stehen zu bleiben. Sie waren alle bis auf die Knochen durchnässt. »Ich habe ihn hierher geschickt, es war die letzte Chance, ihn von Starkadh fernzuhalten, und du hast ihn geradewegs dorthin getrieben. Er wollte doch nur getröstet werden, Jen!«
    Aber es war Guinevere, die ihr antwortete, und sie war kälter und härter als die Elemente. »Getröstet? Kann ich irgendeinen Trost geben, Kimberly? Oder du, oder irgendeiner von uns? Heute? Jetzt? Du hattest kein Recht, ihn hierher zu schicken, und du weißt es! Ich wollte, dass er offen sei, unberechenbar, dass er die Freiheit hat zu wählen, und davon gehe ich nicht ab! Jaelle, was glaubst du, was du getan hast? Du warst doch im Musikzimmer in Paras Derval zugegen, als ich Paul das gesagt habe. Ich habe damals alles ernst gemeint! Wenn wir ihn binden oder es auch nur versuchen, ist er für uns verloren!«
    Im tiefsten Grunde ihres Herzens spürte sie noch etwas anderes, aber sie verschwieg es. Es war ihr eigenes Geheimnis, zu nackt, als dass es hätte ausgesprochen werden können: Er ist meine Wilde Jagd, flüsterte es immer wieder in ihrer Seele, mein Owein, meine Schattenkönige, mein Kind auf Iselen. Sie alle. Sie war nicht taub für die Nebentöne. Sie wusste, dass sie unterschiedslos und mit Freude töteten. Sie wusste, was sie waren. Und seit Flidais seine Geschichte auf dem Balkon erzählt hatte, wusste sie auch, was ihre Existenz bedeutete.
    Durch den peitschenden Regen starrte sie mit weit geöffneten Augen auf Kimberly. Würde sie es wagen, noch weiter zu sprechen!? Aber die Seherin schwieg, und in ihren Augen sah Jennifer keine Angst und keinen Zorn mehr, sondern nur Traurigkeit, Weisheit und eine Liebe, die sie immer ausgestrahlt hatte. Ihre Kehle war wie zusammengeschnürt.
    »Verzeiht.« Die Frauen blickten auf den herab, der gesprochen hatte. »Verzeiht mir«, wiederholte Flidais. Er musste hart kämpfen, um das Aufwallen in seinem Herzen zu unterdrücken. Er bemühte sich, seine Stimme ruhig klingen zu lassen. »Ich nehme an, Ihr seid die Seherin von Brennin?«
    »So ist es«, erwiderte Kim.
    »Und ich bin Flidais«, stellte er sich vor, und obwohl dies ein beiläufig gewählter Name war, ging er ihm unwillkürlich schnell von der Zunge. Aber es war auch keine Zeit zu verlieren, denn er war schon so nahe. Er fürchtete, er würde vor Aufregung verrückt werden. »Ich sollte Euch mitteilen, dass Galadan schon sehr nahe ist. Es wird nur

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