Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Kind des Schattens

Titel: Das Kind des Schattens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guy Gavriel Kay
Vom Netzwerk:
dem Sturm hatte hören lassen. »Wir müssen nach Nordosten. Es tut mir leid, Diar, wir müssen mit dem Wind segeln und es am anderen Ende drauf ankommen lassen!«
    Diarmuid dan Ailell, der Erbe des Großkönigtums von Brennin, war viel zu sehr damit beschäftigt, ein Seil zu vertäuen, als dass er die Entschuldigung registriert hätte. Neben dem Prinzen, der vollkommen durchnässt und vom Heulen des Sturmes fast taub war, mühte Paul sich ab, nützlich zu sein und die Situation, so wie er sie erkannt hatte, zu meistern.
    Er hatte es gewusst …, seit sich der Wind vor zwei Stunden erhoben hatte und seit er einen ersten Blick auf jene schwarze Linie weit unten am Südwesthorizont geworfen hatte, die jetzt zu einem finsteren Vorhang geworden war, der den Himmel umfing und ihn auslöschte. Durch Mörnirs Pulsschlag in ihm selbst, jenem ruhigen Ort, einem stillen Teich gleich, der die Anwesenheit des Gottes kennzeichnete, wusste er, dass das, was gekommen war und noch kommen würde, mehr als ein einfacher Sturm war. Er war Pwyll, der Zweimal Geborene; auf dem Sommerbaum war er zur Macht auserwählt, war gezeichnet und ernannt worden, und er wusste, wann eine Kraft von dieser Größe zugegen war und sich manifestierte. Mörnir hatte ihn gewarnt, doch mehr konnte er nicht tun, das wusste Paul. Trotz des krachenden Donners war es nicht sein Sturm, noch hatte Liranan, der flüchtige Gott des Meeres, ihn gebraut. Metran mit dem Kessel von Kath Meigol hätte es bewerkstelligen können, aber der abgefallene Magier war tot, und der Kessel lag in Scherben. Aber auch Rakoth Maugrim in Starkadh hatte diesen Sturm dort draußen im Meer nicht erzeugt.
    So blieb nur eine, eine einzige Möglichkeit, und trotz all seiner bravourösen Seemannskunst hatte Coll von Taerlindel keine Chance. Paul war klug genug, um zu wissen, dass man einem Kapitän auf offenem Meer so etwas nicht sagen konnte. Man musste ihn kämpfen lassen und darauf vertrauen, dass er schon wissen würde, wann der Kampf aussichtslos sein würde. Und wenn man dann überlebte, konnte man versuchen, seinen verwundeten Stolz zu heilen mit der Kenntnis dessen, wodurch er besiegt worden war. Wenn man überlebte.
    »Bei Lisens Blut!« schrie Diarmuid. Paul sah nach oben, gerade rechtzeitig, um zu sehen, dass der Himmel sich vollkommen verdüsterte und eine dunkelgrüne, gekräuselte Welle, die doppelt so hoch war wie das Schiff, herabzufallen begann.
    »Halt dich fest!« schrie der Prinz von neuem und packte Pauls eilig angezogenes Jackett mit eisernem Griff. Paul warf einen Arm um Diarmuid und schlug um den anderen Arm mehrere Male ein Seil, das am Mast befestigt war, hielt sich mit aller Kraft daran fest. Dann schloss er seine Augen.
    Die Woge krachte mit dem Gewicht des Meeres und des Verhängnisses auf sie nieder. Mit dem Gewicht eines Schicksals, das weder aufgeschoben noch abgelehnt werden konnte. Diarmuid und Paul hielten sich gegenseitig umfangen, und wie Kinder klammerten sie sich an ihren Halterungen fest. Und Kinder waren sie auch, die Kinder des Webers, des Webers am Webstuhl, von dem dieser Sturm ausging.
    Als Paul wieder sehen und atmen konnte, blickte er durch den strömenden Regen und die Gischt hinüber zur Ruderpinne. Coll hatte dort nur einen Gehilfen, den er dringendst brauchte, denn er musste jetzt das Schiff, das nun mit der vollen Geschwindigkeit des Sturmes gefährlich und erschreckend schnell in der tobenden See dahinschoß, auf dem neuen Kurs halten. Dies verlangte die äußerste Anspannung seiner Muskeln, denn bei dieser Geschwindigkeit konnte die leichteste Drehung des Ruders sie wie ein Spielzeug in den Wellen zum Kentern bringen. Aber jetzt war Arthur Pendragon bei Coll, half ihm, das Gleichgewicht zu halten, zog Schulter an Schulter mit dem Seemann am Ruder, die salzige Gischt durchnässte seinen ergrauenden Bart. Paul, der nun im Schatten des Hauptmastes kauerte, konnte die beiden von dort aus nicht genau sehen, und dennoch wusste er, dass in den Augen des Kriegers die Sterne fallen und fallen würden, während er von der Hand des Webers, der sein Verhängnis gewoben hatte, von neuem seinem prophezeiten Schicksal zugeführt wurde.
    Kinder, dachte Paul. Kinder, die sie in ihrer Hilflosigkeit auf diesem Schiff alle waren, und jene Kinder, die hatten sterben müssen, als der Krieger jung war und so sehr befürchtete, dass sein strahlender Traum vernichtet würde. Während der Regen und die Meeresgischt miteinander verschwammen, verschwammen auch

Weitere Kostenlose Bücher