Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Kind des Schattens

Titel: Das Kind des Schattens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guy Gavriel Kay
Vom Netzwerk:
sanfter Regen aus einem bedeckten Sommerhimmel, und sie schwammen einzeln, in Paaren, in Gruppen zu jenem Stück Strand, das im Schatten von Lisens Turm lag. Und dort stand Guinevere.
     
    Es war ein Wunder, machte sich Kim klar. Aber sie erkannte auch sehr viel mehr, als dass sie ihre Tränen nur aus Erleichterung und Freude vergossen hätte. Zu dicht war dieses Gewebe, zu geladen mit Strukturen und Schattierungen und einer Milliarde von vielfach verknüpften Fäden, Schuss- und Kettfäden, als dass irgendein Gefühl eindeutig hätte sein können.
    Sie hatten gesehen, wie das Schiff gegen die Felsen donnerte. Dann hatten sie noch in diesem Augenblick des Schreckens einen einzelnen, gebieterischen Ton gehört, der irgendwo zwischen Donner und Stimme lag, und im selben Augenblick war der Wind vollkommen abgestorben, und das Wasser der Bucht war glatt wie Glas geworden. Die Besatzung der Prydwen wurde über die zerfetzten Planken des Schiffes in die Bucht gespült, die sie vor weniger als zwei Sekunden noch vernichtet hätte.
    Ein Wunder. Später mochte noch Zeit genug sein, um nach dem Ursprung dieses Wunders zu suchen und dafür zu danken. Aber jetzt noch nicht, nicht jetzt, in dieser verwickelten, von Kummer beseelten Entfaltung eines langen Schicksals.
    Denn sie waren schließlich zu dritt, und Kim konnte gar nichts, aber auch gar nichts tun, um das schmerzvolle Ziehen in ihrem Herzen zu unterbrechen. Aus dem Meer stieg ein Mann, der sich nicht auf der Prydwen befunden hatte, als sie noch segelte. Er war hochgewachsen, dunkelhaarig, auch seine Augen waren dunkel. An seiner Seite hing ein langes Schwert, neben ihm lief ein grauer Hund, Cavall, und in seinen Armen trug dieser Mann den Körper von Arthur Pendragon, und alle fünf, die auf dem Strand warteten, wussten, wer dieser Mann war.
    Vier von ihnen blieben ein wenig weiter hinten, aber Kim wusste, dass Sharra sich vom Instinkt ihrer Seele zum Meer getrieben fühlte, wo eben jetzt Diarmuid auftauchte und einem seiner Männer aus dem Wasser half. Sie bekämpfte jedoch diesen Instinkt, und Kim lobte sie innerlich dafür. Sie stand zwischen Sharra und Jaelle, Brendel ein wenig seitlich und hinter ihnen. Jennifer aber trat durch den Nieselregen nach vorne auf die beiden Männer zu, die sie geliebt hatte und von denen sie in so vielen Leben, in so vielen Welten geliebt worden war.
     
    Guinevere erinnerte sich an einen Augenblick am frühen Nachmittag auf dem Balkon des Turmes, als Flidais von der Zufälligkeit sprach, die der Weber als Variable in sein Gewirk eingewebt hat, um sich selbst zu beschränken. Sie erinnerte sich wie von ferne an die Explosion der Hoffnung in ihrem Bewusstsein, dass es dieses Mal anders sein könnte … auf Grund dieser Unbestimmbarkeit, dieser Zufälligkeit. Weil Lancelot nicht hier war, weil die dritte Ecke des Dreiecks fehlte und deshalb der Plan des Webers vielleicht noch verändert werden konnte. Denn der Weber hatte selbst einen Raum für Veränderung ins Gewirk eingewebt.
    Niemand wusste von diesem Gedanken, und niemand würde jemals davon wissen, er war bereits begraben, zerschmettert und verschwunden.
    An seiner Stelle war hier nun Lancelot du Lac, dessen Seele die andere Hälfte ihrer eigenen war. Seine Augen waren ebenso dunkel wie jedes einzelne Mal zuvor, sie waren verständnisvoll, forderten nicht, in ihren Tiefen lag derselbe Schmerz begraben, den nur sie verstehen, nur sie lindern konnte. Seine Hände, seine langen schönen Hände, die eines Kämpfers, waren genauso wie das letzte Mal und das Mal zuvor, wie all diese schmerzvollen Male zuvor, als sie sie geliebt hatte und ihn geliebt hatte, als ein Spiegel ihrer selbst.
    Seine Hände wiegten jetzt mit unendlicher, unmissverständlicher Zärtlichkeit den Körper seines Lehenshern, ihres Gatten … den sie liebte.
    Und sie liebte ihn trotz all der Lügen, trotz all seines verdrießlichen, neidischen Unverständnisses, sie liebte ihn mit einer vollen und erschütternden Leidenschaft, die sich erhalten hatte, die immer bleiben würde und sie jedes Mal zerreißen würde, wenn sie daran dachte, wer sie gewesen war und noch sein sollte. Wenn sie sich bewusst an jenen Betrug erinnerte, der wie ein Stein im Zentrum aller Dinge lag. Es war der Gram im Herzen eines Traumes, und zugleich der Grund, warum sie wie auch Lancelot hier waren. Es war der Preis, der Fluch, die Strafe, die der Weber im Namen der Kinder, die gestorben waren, dem Krieger auferlegt hatte.
    Sie und Lancelot

Weitere Kostenlose Bücher