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Das Kind des Schattens

Titel: Das Kind des Schattens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guy Gavriel Kay
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noch Minuten dauern, glaube ich.« Jennifer hielt sich die Hände vor den Mund. Die letzten Minuten hatten ihre Aufmerksamkeit so gefesselt, dass sie es ganz vergessen hatte, aber jetzt kam es alles wieder zurück: die Nacht im Wald und der Wolf, der sie zu Maugrim gebracht und sich dann in einen Mann verwandelt hatte. Unmittelbar bevor er sie dem Schwan übergab, hatte er gesagt: Sie muss noch weiter nach Norden gehen. Wenn es nicht so wäre, könnte ich sie für mich selbst nehmen.
    Sie schauderte. Sie war hilflos, kraftlos. Sie hörte, wie Flidais, der sich aus irgendeinem Grund noch immer an Kim wandte, vorschlug: »Ich glaube, ich kann behilflich sein. Ich könnte ihn von diesem Ort ablenken, wenn ich schnell genug gehe.«
    »Dann geh!« rief Kim aus. »Wenn er nur noch einige wenige Minuten …«
    »Oder«, fuhr Flidais fort, und er war jetzt unfähig zu verhindern, dass seine Stimme immer höher wurde, »oder ich könnte einfach nichts tun, so verhalten sich die Andain im allgemeinen. Oder, wenn ich will, kann ich ihm direkt sagen, wer die Lichtung gerade verlassen hat und wer hier ist.«
    »Vorher würde ich dich töten«, brach es aus Brendel hervor, und seine Augen glühten durch den Regen. Ein Blitzstrahl schnitt sich in das tobende Meer, ein weiterer Donnerschlag erklang.
    »Du könntest es versuchen«, räumte Flidais gleichmütig ein, »es würde dir nicht gelingen. Und dann würde Galadan kommen.« Er machte eine Pause, wartete, blickte auf Kim, die ihm langsam erwiderte: »Also gut. Was möchtest du?«
    Während der Sturm heulte, empfand Flidais ein großes aufloderndes Leuchten in seinem Herzen. Mit feiner unaussprechlicher Freude antwortete er zärtlich: »Nur eines. Eine Kleinigkeit … Nur einen Namen. Den Namen, mit dem der Krieger beschworen wird.« Seine Seele sang. Er tanzte ein wenig auf dem nassen Strand umher, er konnte nicht anders. Hier war es, in seinen Händen.
    »Nein«, entgegnete Kimberly schroff.
    Sein Unterkiefer fiel in das durchnässte Geflecht seines Bartes. »Nein«, wiederholte sie. »Als er zu mir kam, habe ich einen Eid geschworen, und ich werde ihn nicht brechen.«
    »Seherin …« begann Jaelle.
    »Du musst!« stöhnte Flidais. »Du musst ihn mir nennen. Das ist das einzige Rätsel, das letzte! Alle anderen Antworten kenne ich. Ich würde es niemals weitersagen. Niemals! Der Weber und alle Götter wissen, dass ich es niemals weitersagen werde … aber ich muss es wissen, Seherin! Es ist der Wunsch meines Herzens!«
    Ein seltsamer, schicksalsreicher Satz, der mit ihr durch die Welten gereist war. Kim erinnerte sich an diese Worte nach all den Jahren, die vorübergegangen waren, und sie erinnerte sich, wie sie auf dem Bergplateau daran gedacht hatte, während Brock bewusstlos neben ihr lag. Sie blickte auf den gnomartigen Andain hinab, der in verzweifelt wahnsinnigem Flehen seine Hände rang. Sie erinnerte sich an Arthur, in jenem Augenblick, als er ihrem Ruf auf dem Glastonbury Tor gefolgt war, an seine gebeugten Schultern, die eine unsichtbare Bürde trugen, an die Müdigkeit und die Sterne, die durch seine Augen herabfielen und immer weiter herabfielen. Sie schaute auf Jennifer, die Guinevere war.
    Und die sagte jetzt leise, aber von so nahe, dass sie trotz des Windes gehört werden konnte: »Gib ihm den Namen, so wird er wenigstens weitergegeben. Das ist ein Teil des gewobenen Schicksals. Gebrochene Eide und Kummer liegen im Herzen dieses Namens. Wirklich, Kim, es tut mir leid.«
    Dass sie sich am Ende entschuldigte, berührte sie mehr als alles andere. Wortlos drehte sie sich um und ging einige Schritte zur Seite. Sie blickte zurück und nickte dem Andain zu. Dieser stolperte und fiel fast, so begierig war er, es zu hören. Sie blickte auf ihn hinab und gab sich keine Mühe, ihre Verachtung zu verbergen. »Du wirst diesen Ort mit dem Wissen dieses Namens verlassen, ich aber verlange von dir zwei Dinge. Du darfst ihn für keine Seele in irgendeiner Welt wiederholen, und du musst dich jetzt mit Galadan beschäftigen und alles tun, was getan werden muss, um ihn von diesem Turm fernzuhalten und das Wissen um Darien vor ihm zu schützen. Wirst du das tun?«
    »Bei allen Mächten in Fionavar, ich schwöre es«, gelobte er und konnte dabei seine Stimme kaum noch kontrollieren. Er stellte sich auf die Zehenspitzen, um ihr näher zu sein. Ohne es zu wollen, war sie durch das hilflose Verlangen, die Sehnsucht in seinem Gesicht gerührt.
    »Kindsmörder«, sagte sie und brach

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