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Das Kind des Schattens

Titel: Das Kind des Schattens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guy Gavriel Kay
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standen sich schweigend gegenüber, und der Ort, wo sie standen, dieses Stückchen Strand erschien den Zuschauern wie eine Enklave in der Ebbe und Flut der Zeit, eine Insel im Gewebe. Barhäuptig im rieselnden Regen stand sie vor den zwei Männern, die sie liebte, und dachte an so viele Dinge.
    Ihre Augen wanderten wieder zu seinen Händen zurück, und sie erinnerte sich, wie er aus Verlangen nach ihr und der Unterdrückung dieses Verlangens in ihm selbst wahnsinnig geworden war … wirklich wahnsinnig, eine Zeitlang. Sie dachte daran, wie er aus Camelot in die Wälder gegangen und dort im Wechsel der Jahreszeiten umhergewandert war; selbst im Winter war er nackt, einsam und wild, und sein Verlangen entblößte ihn bis auf die Knochen. Und sie erinnerte sich an seine Hände, als man ihn schließlich zurückbrachte: die Narben und Schnitte, die Geschwüre und Hornhäute, die eingerissenen Fingernägel und die Frostbeulen, die davon herrührten, dass er im Schnee nach Beeren gegraben hatte.
    Arthur hatte geweint, erinnerte sie sich, sie selbst nicht. Erst später, als sie allein war. Es hatte so weh getan. Sie hatte gedacht, lieber sterben zu wollen, als diesen Anblick zu ertragen. Und nicht zuletzt waren es diese Hände, dieser greifbare Beweis, was die Liebe zu ihr bei ihm anrichtete, die ihre eigenen Barrikaden geöffnet hatten. So ließ sie ihn in ihr Herz ein und bot ihm den Willkommensgruß, den sie ihm so lange verweigert hatte. Wie konnte es denn Betrug sein, einem solchen Menschen Unterschlupf zu gewähren? Wie konnte es Betrug sein, den Spiegel ganz werden zu lassen, damit seine Reflexion des Feuers sie beide daneben zeigen würde?
    Aber beide schwiegen, und nichts in ihrem Gesicht verriet ihre Gedanken. Aber er konnte auch so in ihr lesen, und sie wusste es. Bewegungslos, wortlos berührten sie einander nach so langer Zeit und berührten sich dennoch nicht. Seine Hände, die jetzt rein, schlank und schön und ohne Narben waren, hielten Arthur in liebevoller Umklammerung, und sie hörte es wie einen Gesang in ihrem Herzen, wie hohe Stimmen in einem Gewölbe, die von Freude und Schmerz sangen.
    Und in diesem Augenblick erinnerte sie sich an etwas anderes, und das konnte er nicht wissen, selbst wenn seine dunklen Augen, mit denen er in die ihren blickte, noch dunkler würden. Unvermittelt erinnerte sie sich an das letzte Mal, als sie sein Gesicht gesehen hatte: Es war weder in Camelot noch in irgendeinem der anderen Leben in den anderen Welten, wo sie zurückgebracht wurden, um Arthurs Verhängnis mitzuerleben, sondern in –  Starkadh vor etwas mehr als einem Jahr. Damals hatte Rakoth Maugrim, weil ihre Qual ihm Vergnügen bereitete, die Kammern ihrer Erinnerung mühelos geöffnet und geplündert, und er war mit dem Bild des Mannes, der jetzt vor ihr stand, wieder herausgekommen. Und jetzt verstand sie. Wieder erlebte sie den Augenblick, als der finstere Gott aus Spott und Hohn Lancelots Gestalt angenommen hatte … es war ein Versuch, ihr Wissen um Liebe herabzuwürdigen, zu beflecken und zu besudeln. Ein Versuch, ihre Erinnerung mit Schmutz zu überhäufen, sie mit dem Blut, das aus dem schwarzen Stumpf seiner verlorenen Hand herniedertroff, aus ihr herauszubrennen. Und als sie nun hier am Anor stand und die Wolken im Westen aufrissen, der Sturm sich legte und die ersten Strahlen der untergehenden Sonne flach auf den Meeresspiegel trafen, wusste sie, dass Rakoth keinen Erfolg gehabt hatte. Vielleicht wäre es besser gewesen, es wäre ihm gelungen, dachte ein Teil in ihr ironisch und distanziert. Vielleicht wäre es besser gewesen, er hätte diese Liebe aus ihr herausgesengt, aus dem Abgrund seiner Schlechtigkeit etwas Gutes gemacht, sie von Lancelot befreit, so dass der endlose Betrug endlich aufhören würde.
    Aber es war ihm nicht gelungen. Sie hatte in ihrem ganzen Leben nur zwei Männer geliebt, es waren die strahlendsten Männer aller Wehen, und sie liebte sie noch immer.
    Sie registrierte, wie das Licht sich veränderte: goldene, kupferne Töne, ein Sonnenuntergang nach dem Sturm. Der Regen hatte aufgehört. Über ihnen erschien ein Stückchen Himmel, dessen Blau sich langsam zur gedämpften Farbe der Dämmerung abtönte. Sie hörte das Heranbranden des Meeres, hörte, wie es auf dem Sand und den Steinen wieder zurückschwappte. Sie hielt sich so gerade, wie sie nur konnte, sie hatte das Gefühl, als würde jede Bewegung in diesem Augenblick einen Bruch verursachen, und sie wollte keinen Bruch.
    »Es

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