Das Kind des Schattens
hinauf, erhob sich dann und lächelte nun zärtlich und ernst auf sie hinab; mit einer sicheren Kraft, deren einzige Stelle der Verletzlichkeit sie selbst war, sagte er: »Alle Wege sind dunkel, Guinevere, nur am Ende gibt es Hoffnung auf Licht.« Das Lächeln verschwand. »Lebewohl, zärtliche Geliebte.«
Bei diesen letzten Worten drehte er sich um, und seine Hand fuhr automatisch und unbewußt zu seiner Seite, um zu überprüfen, wie sein Schwert hing. Panischer Schrecken fuhr in ihr auf, eine blinde Flut.
»Lancelot!« rief sie.
Bis jetzt hatte sie seinen Namen nicht ausgesprochen. Er hielt inne und drehte sich zurück, es waren zwei einzelne Bewegungen, die durch das Gewicht des Schmerzes verlangsamt waren. Er blickte auf sie; langsam, als wolle sie das Gewicht teilen, überaus behutsam streckte sie ihm eine Hand entgegen. Und ebenso langsam kam er zurück, nahm ihre Hand und brachte sie zu seinen Lippen. Dabei ruhten seine Augen auf den ihrigen und nannten ihren Namen immer und immer wieder in all ihrer Tiefe.
Ohne zu sprechen – weder wagte sie es, noch war sie dazu fähig – nahm sie die Hand, in der er die ihrige hielt. Sie legte ihre Wange gegen seinen Handrücken, so dass eine Träne darauffiel. Dann küsste sie diese Träne weg und sah ihm dann zu, wie er sich entfernte. Er ging an all den schweigenden Menschen vorbei, sie traten vor ihm zurück, als er den Weg zum Wald von Pendaran einschlug.
Vor langer Zeit hatte er einstmals die Grüne Ceinwen im Mondlicht auf einer Waldlichtung getroffen. Vorsichtig, denn bei der Jägerin war es immer gut, vorsichtig zu sein, hatte Flidais die Lichtung betreten und sie begrüßt. Sie war auf dem Stumpf eines umgestürzten Baumes gesessen, ihre langen Beine hatte sie ausgestreckt, ihr Bogen lag zu ihren Füßen und daneben ein toter Eber mit einem Pfeil in seiner Kehle. In der Waldlichtung befand sich auch ein kleiner Teich, aus dem das Mondlicht in ihr Gesicht reflektiert wurde. Es gab unzählige Geschichten über ihre Grausamkeit und Launenhaftigkeit, er kannte sie alle und hatte viele davon sogar selbst in Umlauf gebracht, deshalb näherte er sich ihr in höchster Unsicherheit, dankbar, dass sie nicht grade im Teich badete, denn er wusste, dass er mit größerer Wahrscheinlichkeit hätte sterben müssen, wenn er sie so gesehen hätte.
Aber in jener Nacht war sie in einer Stimmung katzenhafter Trägheit und reckte ihren geschmeidigen Körper, sie hatte getötet und begrüßte ihn amüsiert, ließ ihn sogar neben sich auf dem Baumstumpf Platz nehmen.
Eine Zeitlang hatten sie leise miteinander gesprochen, wie es sich im Mondlicht und an diesem Ort auch gehörte, und sie hatte ein Vergnügen daran gefunden, sein Verlangen anzustacheln, ohne es zu befriedigen. Doch tat sie es in jener Nacht freundlich und nicht bösartig.
Als sich der Mond dann anschickte, hinter die Bäume im Westen hinabzugleiten und so die Lichtung zu verlassen, hatte sich die Grüne Ceinwen, träge zwar, aber mit einem anderen, bedeutungsvolleren Ton als zuvor an ihn gewandt: »Flidais, du Kleiner vom Wald, fragst du dich nicht manchmal, was mit dir geschieht, wenn du irgendwann den Namen erfährst, den du suchst?«
»Wie das, Göttin«, hatte er zurückgefragt. Und angesichts dieser höchst nebensächlichen, beiläufigen Erwähnung seines uralten Verlangens waren seine Nerven plötzlich wie entblößt. »Wird nicht deine Seele arm und ziellos liegen, wenn dieser Tag kommt? Was wirst du tun, wenn du das letzte und einzige Ding gewonnen hast, das du ersehnst? Wirst du nicht alle Freude am Leben, jeden Grund zu leben vermissen, wenn dein Durst erst einmal gestillt ist? Überlege es dir, Kleiner, denk darüber nach.«
Dann war der Mond verschwunden, und kurz darauf auch die Göttin, aber nicht ohne sein Gesicht und seinen Körper mit ihren langen Fingern gestreichelt zu haben, so dass er wild vor Verlangen am dunklen Teich zurückblieb.
Sie war launenhaft und grausam, unfassbar und sehr gefährlich, aber sie war auch eine Göttin, und nicht die geringste unter ihnen, was ihre Klugheit betraf. Lange Zeit saß er im Hain und dachte über ihre Worte nach und auch in den darauf folgenden Jahren dachte er noch darüber nach.
Und jetzt erst, wo es geschehen war, konnte er einen freudvollen Atemzug nach dem anderen in sich hineinziehen, und er erkannte, dass sie unrecht gehabt hatte. Es hätte ja auch anders sein können, das wusste er: Die Erfüllung seines Herzenswunsches hätte ja
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