Das Kind des Schattens
Hilfe.«
Langsam schien Cernans Zorn hinwegzuschwinden. Flidais musste lange zum Gesicht seines Vaters hinaufblicken. »Du hast unrecht. Du brauchst in dieser Angelegenheit meine Hilfe nicht«, erklärte der Gott aus der Majestät seiner großen Höhe. »Du hast etwas vergessen, mein gutes Kind. Aus Gründen, die ich niemals akzeptieren werde, hat Rakoths Sohn Lisens Reif erhalten. Die Kräfte und Geister des Waldes werden ihn nicht unmittelbar angreifen, jedenfalls nicht, solange er ihn trägt. Aber sie werden etwas anderes tun, und du solltest wissen, was, mein Kleinster.«
Er wusste es. »Der Hain«, flüsterte er. »Er wird zum Heiligen Hain geleitet.«
»Und darüber, was dort auf ihn warten wird«, fuhr Cernan fort, »was ihn dort erwartet und ihn töten wird, darüber habe ich überhaupt keine Macht. Auch wenn ich es tun könnte, würde ich nicht dazwischentreten. Es hätte ihm niemals erlaubt werden sollen, zu leben. Es ist Zeit, dass er stirbt, bevor er zu seinem Vater gelangt, und alle Hoffnung schwindet.«
Er wandte sich zum Gehen, denn er hatte alles gesagt, was er sagen wollte, er hatte das, und nur das getan, wozu er sich verpflichtet fühlte, doch jetzt antwortete sein Sohn mit einer Stimme, die so tief wie die Baumwurzel war: »Vielleicht, aber ich glaube nicht. In diesem Gewebe liegt noch mehr. Auch du hast etwas vergessen.«
Cernan blickte zurück. An dem Ort, wo sie standen, erschien die erste Andeutung eines Silberscheines, der seinen nackten Körper berührte und modellierte. Er wollte an einem bestimmten Ort sein, sobald der Mond aufging, und wenn er nur daran dachte, was dort auf ihn warten würde, regte sich sein Verlangen. Aber er blieb noch einen kurzen Augenblick und verharrte.
»Lancelot«, sagte Flidais.
Und er drehte sich mit diesem Wort um und rannte mit der bei ihm immer unerwarteten Geschwindigkeit zum Hain, wo vor so langer Zeit Lisen in Anwesenheit aller Göttinnen und Götter geboren worden war.
In seinem Ärger und seiner Verwirrung, in der Bitterkeit seiner Zurückweisung war Darien weit in den Wald hineingelaufen, bevor er merkte, dass das nicht gerade das Klügste war, was er tun konnte.
Er hatte den Baum gar nicht in Brand stecken wollen, aber der Fluss der Ereignisse schien niemals so zu verlaufen, wie er es erwartete, und wenn das geschah, machte sich etwas anderes in ihm breit, und seine Kraft, die Veränderung in seinen Augen kehrte wieder und Bäume gerieten in Brand.
Dabei hatte er vorhin nur die Illusion erzeugen wollen … dieselbe Illusion des Feuers, die er auf der Lichtung beim Sommerbaum geschaffen hatte … aber diesmal war er stärker gewesen, und die Gegenwart von so vielen Menschen hatte ihm Unbehagen verursacht, und noch dazu war seine Mutter so schön und so kalt gewesen und hatte ihn weggeschickt. Er war nicht mehr imstande gewesen, seine Handlungen zu kontrollieren, und so war das Feuer wirklich entstanden.
Und er war in die Schatten des Waldes weggerannt, weg von den kälteren, schmerzhaften Schatten am Strand.
Inzwischen war es ganz dunkel geworden, der Mond war noch nicht ganz aufgegangen, und als Dariens Wut allmählich verrauchte, wurde er sich zunehmend bewusst, dass er in Gefahr war. Er wusste nichts von der Geschichte des Großen Waldes, aber er gehörte selbst zu den Andain und konnte deshalb die Nachrichten, die durch Pendaran liefen, halbwegs verstehen. Es waren Nachrichten über ihn, was er getan hatte und was er auf seiner Stirn trug.
Seine Empfindung von Gefahr wurde dichter, und ebenso kam ihm mit jedem Augenblick deutlicher zum Bewusstsein, dass er in eine bestimmte Richtung gezwungen wurde. Er dachte schon daran, seine Eulengestalt anzunehmen, um über den Wald hinweg und aus ihm herauszufliegen, erinnerte sich bei diesem Gedanken aber an seine überwältigende Müdigkeit. Er war in dieser Gestalt einen langen Weg sehr schnell geflogen, und er wusste nicht, ob er es noch einmal durchhalten würde. Er war stark, aber seine Stärke hatte Grenzen, und deshalb brauchte er einen Gefühlsgipfel, um seine Macht zu nähren: Angst, Kummer, Sehnsucht oder Wut. Davon hatte er jetzt überhaupt nichts. Er war sich einer Gefahr bewusst, doch konnte er sich zu keiner Reaktion darauf durchringen.
So verblieb er betäubt, gleichgültig und einsam in seiner eigenen Gestalt, er trug die Kleider, die Finn getragen hatte, und folgte widerstandslos den wechselnden Wegen des Waldes von Penderan, er ließ sich von den Mächten des Waldes führen,
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