Das Kind des Schattens
irgendeiner Welt gehabt. Das hier sind eure Männer, Prinz Diarmuid. Zählt auf mich als einen von ihnen und führt uns in den Krieg.«
»Wir werden die Frauen mitnehmen müssen«, murmelte Diarmuid. Sie wollte schon eine beißende Antwort zurückgeben, aber in diesem Augenblick fielen ihre Augen auf etwas sehr Strahlendes, und sie wandte sich um und sah, wie der Baelrath auf Kims Finger immer gebieterischere Flammen schlug.
Sie blickte die Seherin an, als sähe sie sie zum ersten Mal diese kleine schmale Gestalt mit ihrem verwirrten Haar, das so unwahrscheinlich weiß geworden war, und mit ihrer plötzlich entstandenen vertikalen Furche auf der Stirn. Und wieder schien es ihr, als ob sie eine Last trüge, die schwerer als ihre eigene war.
Sie erinnerte sich an den Moment, den sie mit Kim in Gwen Ystrat erlebt hatte, und wünschte – ein wenig erstaunt über sich selbst –, dass sie doch irgend etwas für sie tun, ihr irgendeinen Trost gewähren könne, der nicht nur aus Worten bestünde, aber Jennifer hatte recht gehabt, als sie nach Dariens Verschwinden gesagt hatte, dass niemand unter ihnen einem oder einer anderen wirklichen Schutz zu bieten in der Lage sei.
Sie beobachtete, wie Kim zu Pwyll hinüberging, wie sie ihre Arme um ihn schlang und ihn eng umschlungen hielt. Sie küsste ihn auf den Mund, und er streichelte ihr Haar.
»Bis zum nächsten Mal«, sagte die Seherin, und ganz offensichtlich war das ein Echo aus der Welt, welche die beiden hinter sich gelassen hatten. »Versuche, wirklich vorsichtig zu sein, Paul.«
»Und du auch«, war alles, was er erwiderte.
Dann beobachtete die Priesterin, wie sie zu Jennifer hinüberging, sie sah die beiden Frauen miteinander sprechen, konnte aber kein Wort davon verstehen. Dann kehrte die Seherin zurück. Währenddessen schien Kim immer ferner zu rücken. Sie winkte Loren und Matt zu sich her, und sie stellten sich jeweils zu ihrer Rechten und ihrer Linken. Sie forderte sie auf, einander die Hand zu geben, und legte ihre eigene linke Hand über die ihrigen. Dann hob sie die andere Hand hoch in die Dunkelheit und schloss ihre Augen. In diesem Moment loderte der Kriegsstein so hell, dass man ihn nicht anschauen konnte, es war, als sei eine Verbindung hergestellt worden, und als das blendende Licht verschwunden war, waren auch die drei nicht mehr zu sehen.
Als er wieder aufwachte, war es im Wald vollkommen dunkel. Flidais legte eine Hand an seinen Kopf und konnte fühlen, dass seine Wunde geheilt war. Der Schmerz schien verschwunden … allerdings auch sein rechtes Ohr. Er setzte sich langsam auf und blickte sich um. Auch sein Vater war zugegen.
Cernan kauerte nicht fern von ihm, er beobachtete ihn ernst und hielt das gehörnte Haupt bewegungslos. Flidais erwiderte seinen Blick eine lange Weile im Schweigen.
»Ich danke dir«, sagte er schließlich und sprach dabei laut. Das Geweih senkte sich kurz wie zur Bestätigung, dann entgegnete Cernan ebenfalls laut: »Er hat nicht versucht, dich zu töten.«
Nichts hat sich verändert, dachte Flidais, überhaupt nichts. Dieses Muster war schon zu alt, schon so alt, es war entstanden, als sie beide, Galadan und er, noch jung waren, und deshalb war sein Zorn oder sein Gefühl, verletzt worden zu sein, nicht allzu stark. Er stellte sanft fest: »Er hat aber auch nicht versucht, mich nicht zu töten.«
Cernan erwiderte nichts. Im Wald war es dunkel, der Mond stand noch nicht hoch genug, um den Ort, an dem sie saßen, silbrig zu erleuchten. Aber sie konnten beide auch sehr gut in der Dunkelheit sehen, und Flidais las in den Augen des Gottes, der sein Vater war, sowohl Traurigkeit wie auch Schuld. Das letztere entwaffnete ihn, und so war es immer gewesen.
Achselzuckend meinte er: »Es hätte schlimmer sein können, nehme ich an.«
Wieder bewegte sich das Geweih: »Ich habe die Wunde geheilt«, führte sein Vater wie zur Verteidigung an.
»Ich weiß es.« Er fühlte den zerfetzten Geweberand, wo zuvor sein Ohr gewesen war. »Sag mir«, fragte er, »bin ich sehr hässlich?«
Cernan kippte zustimmend sein herrliches Haupt. »Nicht hässlicher als vorher«, antwortete er abwägend.
Flidais lachte, und nach einer Weile lachte auch der Gott. Es war ein tiefer, rollender, sinnlicher Ton, der im Wald widerhallte.
Als das Lachen dann verschwand, schien es unter den Bäumen sehr ruhig zu werden, aber nur für Wesen, die nicht wie sie beide, der Waldgott und sein Sohn, auf Penderan eingestimmt waren. Selbst mit nur einem Ohr
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