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Das Kind des Schattens

Titel: Das Kind des Schattens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guy Gavriel Kay
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in Flammen und Rauch büßen zu lassen.
    Aber er konnte nicht einmal daran denken. Er war müde und einsam und auf vielerlei Weise verletzt, die er niemals hätte ausdrücken können. Er war bereit für ein Ende.
    Am nördlichen Rand der Lichtung erhob sich ein grasbedeckter Hügel, und auf ihm wuchsen Nachtblumen, die auch in der Dunkelheit geöffnet waren. Er ging hinüber. Die Blumen waren sehr schön. Der Geruch des Haines kam von ihnen. Vorsichtig, um keine weitere Übertretung zu begehen, setzte sich Darien zwischen zwei Büschen dunkler Blumen auf dem Gras des Hügels nieder. Sofort kam ein aufschwellendes rasendes Geräusch vom Wald. Er sprang auf, ein unwillkürlicher Protestschrei entrang sich ihm. Er war doch vorsichtig gewesen! Er hatte kein Leid zugefügt! Er hatte doch nur im sternenbeleuchteten Schweigen eine Weile sitzen wollen, bevor er starb. Seine Arme öffneten sich in einer hoffnungslosen Geste der Besänftigung.
    Nach und nach schwand das Geräusch hinweg, allerdings blieb noch eine Art von Trommeln, von Rollen unter dem Gras des Haines zurück. Darien holte Atem und blickte um sich. Nichts bewegte sich, nur die Blätter rauschten leise im leichten Wind. Auf dem tiefsten Ast eines der Bäume im Hain saß ein kleines Erdwesen, es hielt seinen kurzen pelzigen Schwanz neugierig in die Höhe und betrachtete ihn mit übernatürlichem Ernst. Wenn es ihn in seiner Eulengestalt gesehen hätte, so wusste Darien, wäre es bei seinem Anblick Hals über Kopf geflohen. Aber wahrscheinlich sah er jetzt harmlos aus, erregte weiter nichts als Neugierde. Er war nur ein Junge, welcher der Gnade des Waldes ausgeliefert war … und der Wald war gnadenlos.
    Es war alles richtig gekommen, so entschied er mit einer Art von verzweifeltem Einverständnis. Es war sogar leichter auf diese Weise. Seit er sich erinnern konnte, hatten alle zu ihm von einer Wahl gesprochen, dass er zwischen dem Licht und der Finsternis wählen müsse. Aber sie waren nicht einmal imstande gewesen, untereinander über ihn eine Entscheidung zu treffen: Pwyll, der ihn zum Sommerbaum gebracht hatte, wollte, dass er älter werde, dass er, diese Gestalt annehmen würde und auf diese Weise größeres Wissen erlange. Cernan von den Tieren hatte wissen wollen, wieso es ihm überhaupt erlaubt worden sei zu leben. Die weißhaarige Seherin hatte ihm mit Angst in den Augen einen glänzenden Lichtgegenstand gegeben und hatte mit ihm zugesehen, wie das Licht ausging. Dann hatte sie ihn zu seiner Mutter geschickt, die ihn verstoßen hatte. Selbst Finn, der ihm befohlen hatte, das Licht zu lieben, war ohne Abschied weggegangen, um in den weiten Räumen zwischen den Sternen eine Art eigene Finsternis zu finden.
    Sie sprachen von einer Wahl, sie sprachen davon, dass sein Wesen in der Schwebe hing zwischen seiner Mutter und seinem Vater, er entschied, dass er zu fein ausbalanciert war und dass es für sie alle, und schließlich auch für ihn selbst, zu schwierig war. So war es leichter. Es war leichter, diesen Zwang zur Entscheidung aufzugeben, sich an diesem Ort der alten Kraft dem Wald auszuliefern und seinen Tod zu akzeptieren, denn das würde alles zum Besseren wenden. Wenn du tot bist, kannst du nicht mehr einsam sein, dachte Darien, kannst du nicht mehr so verletzend sein. Alle hatten sie Angst vor ihm, hatten Angst davor, was er mit seiner Freiheit der Entscheidung wählen würde, wozu er werden würde. Nun würden sie keine Angst mehr haben müssen.
    Er erinnerte sich an das Gesicht des Lios Alfar, an jenem letzten kalten Wintermorgen am Sommerbaum … wie schön und strahlend er gewesen war, aber wie sehr er auch Angst gehabt hatte. Er erinnerte sich an die Seherin mit ihrem weißen Haar. Sie hatte ihm ein Geschenk gegeben, was kein Fremder jemals zuvor getan hatte, aber er hatte ihre Augen gesehen, ihren Zweifel und ihre Angst, noch bevor das Licht ausging. Es stimmte: Alle hatten sie Angst davor, was er wählen würde.
    Nur seine Mutter nicht.
    Auf diesen Gedanken war er vollständig unvorbereitet. Er traf ihn mit der Kraft der Offenbarung. Sie hatte keine Angst, was er tun würde. Sie war die einzige, die nicht versucht hatte, ihn anzulocken wie die Stimmen des Sturmes oder ihn zu überreden wie die Seherin. Sie hatte nicht versucht, ihn an sich zu binden oder ihm auch nur einen Weg vorzuschlagen. Sie hatte ihn weggeschickt, weil es seine Aufgabe war zu wählen, und sie war die einzige, die es zuließ. Vielleicht, dachte er plötzlich, vielleicht

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