Das Kind des Schattens
saß:
»Wir scheinen die Rollen zu tauschen. Soll ich dir eine Decke geben?«
Es kam ironischer heraus, als er beabsichtigt hatte, aber das schien unwichtig zu sein. Ihre eisige Selbstbeherrschung war erschütternd vollkommen. Ohne sich umzudrehen oder zu erschrecken, murmelte Jaelle, ihren Blick noch immer auf das Wasser gerichtet: »Mir ist nicht kalt. Du hast in jener Nacht gefroren Stört es dich so sehr?«
Sofort tat es ihm leid, so gesprochen zu haben. Immer wenn sie sich trafen, schien dasselbe abzulaufen, dieser Gegensatz zwischen Dana und Mörnir. Halb wandte er sich schon um, um wieder zurückzukehren, hielt aber dann inne, fast nur aus Eigensinn.
Er holte Atem, versuchte, jede Veränderung seiner Stimme zu vermeiden und antwortete: »Eigentlich nicht, Jaelle. Ich habe es nur so zum Gruß gesagt, weiter nichts. Nicht alles, was jemand zu dir spricht, musst du als Herausforderung verstehen.«
Dieses Mal drehte sie sich um. Ihr Haar wurde von einem Silberreif zusammengehalten, aber die Enden flogen im Seewind. Er konnte ihre Augen nicht erkennen, denn das Mondlicht war hinter ihr und schien auf sein Gesicht. Eine lange Weile schwiegen sie beide, dann hielt ihm Jaelle vor: »Du hast eine merkwürdige Art, Menschen zu grüßen, Zweimal Geborener.«
Er ließ seinen Atem ausströmen. »Ich weiß«, gab er zu, »vor allem, wenn ich dich grüße.« Er machte einen kurzen Schritt, sprang nach unten und setzte sich auf den Felsen, der dem ihrigen am nächsten war. Unter ihnen schlug das Wasser an die Steine, er konnte das Salz in der Gischt riechen.
Ohne zu antworten, wandte Jaelle sich wieder dem Meer zu. Kurz darauf folgte auch Paul ihrem Beispiel. So saßen sie lange Zeit, dann fiel ihm etwas ein. Er sagte: »Du bist weit vom Tempel entfernt. Wie wolltest du eigentlich zurückkehren?«
Ungeduldig zog sie eine Haarsträhne zurück. »Mit Kimberly oder dem Magier. Ich habe eigentlich nicht darüber nachgedacht. Sie musste rasch hierher kommen, und ich war die einzige, die ihr dabei helfen konnte.«
Er lächelte, unterdrückte dann sein Lächeln, damit sie nicht denken sollte, er spotte über sie. »Selbst wenn du mich verfluchst oder so etwas dergleichen tust, möchte ich bemerken, dass das merkwürdig selbstlos klingt …«
Sie drehte sich ruckartig um und starrte ihn scharf an. Ihr Mund öffnete und schloss sich wieder, und selbst im Mondlicht konnte er sehen, dass sie errötete.
»Das sollte kein Stich sein«, fügte er schnell hinzu. »Wirklich, Jaelle. Ich kann mir vorstellen, was das für dich bedeutet hat.«
Ihre Farbe schwand langsam wieder hinweg. Wo der Mond ihr Haar berührte, glänzte es in einem merkwürdigen, unirdischen Rotton. Ihr Diadem glänzte. Sie entgegnete lediglich: »Das glaube ich nicht, nicht einmal du, Pwyll.«
»Dann sag mir«, bat er, »verrat mir eines, Jaelle.«
Er wunderte sich über die Intensität in seiner Stimme.
»Sprichst du etwa gerne?« schoss sie nachdenklich zurück. Als er aber dann schwieg, fügte sie langsamer und mit veränderter Stimme hinzu: »Ich habe jemanden bestimmt, mich zu vertreten, aber ich habe die Ordnung der Reihenfolge gebrochen, als ich es tat.«
»Kenne ich sie?«
Sie lächelte schlau. »Ja, eigentlich schon. Es ist das Mädchen, das uns letztes Jahr nachspioniert hat.«
Er fühlte, wie ein Schattenrand ihn streifte. Schnell blickte er auf, aber es waren keine Wolken über dem Mond. Es fand in seinem eigenen Bewusstsein statt.
»Leila? Ist es vermessen, dich nach dem Grund zu fragen? Ist sie nicht sehr jung?«
»Natürlich, das weißt du doch«, erwiderte Jaelle scharf. Und, als kämpfe sie gegen ihren eigenen Impuls, fuhr sie dann fort: »Was den Grund anbelangt: Ich kenne ihn nicht, es ist ein Instinkt, eine Vorahnung. Ich habe euch allen vorher an diesem Abend erzählt, dass sie noch immer auf Finn und deshalb auch auf die Wilde Jagd eingestimmt ist. Aber das nehme ich nicht so leicht. Ich weiß nicht, was es bedeutet. Weißt du immer, warum du etwas tust, was du tust, Pwyll?«
Er lachte bitter, sie hatte den bloßliegenden Nerv berührt, der ihn wach gehalten hatte. »Früher dachte ich es, aber jetzt nicht mehr. Seit ich im Baum war, weiß ich leider überhaupt nicht mehr, wieso ich irgend etwas tue, was ich tue. Auch ich gehe nach der Intuition, Jaelle, und ich bin nicht daran gewöhnt. Mir scheint, dass ich überhaupt keine Kontrolle mehr habe. Willst du die Wahrheit wissen?« Die Worte stolperten nur so aus ihm heraus, er
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