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Das Kind

Titel: Das Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fitzek
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einen kaputten Sessel. Dabei legte er den Kopf in den Nacken und ließ sich den Regen ins Gesicht wehen, während er die Autobahn von unten betrachte te.
»So früh schon wach, Harry?«
Der Mann schnellte herum. Sie waren noch vier Autolängen von ihm entfernt, aber die Angst, die ihm bei Borcherts Anblick ins Gesicht schoss, war unübersehbar. »Scheiße.« Harry vergaß seine Morgentoilette, rannte um die Ecke und kam mit seinen durchgetretenen Badelatschen gerade noch bis zu der geöffneten Tür seines Wohnwagens. Doch selbst wenn er es geschafft hätte, sie schnell wieder zu verriegeln, wäre das dünne Hindernis für Borchert ein Witz gewesen. Er hätte den Wohnwagen mit bloßen Händen zurück zur Hauptstraße rollen können. Harry wusste das und blickte dementsprechend verschüchtert drein, als die beiden Männer zu ihm in den Wagen hineinkletterten. »Puuh, wer ist denn hier gestorben?«
Stern hielt sich wie Andi die Nase zu und atmete nur noch durch den Mund. Als der Anhänger neu gewesen war, musste der Teppich einmal gelb gewesen sein. Jetzt überzog grüner Schimmel den Fußboden und die Plastikwände. In der kleinen Kochnische stapelten sich zerbrochene Teller, dreckiges Pappgeschirr und etwas, das einmal eine Salami gewesen sein mochte, jetzt aber wie eine offene Wunde aussah.
»Was wollt ihr von mir?«, fragte Harry. Er hatte sich in den hintersten Winkel der laminierten Eckbank gezwängt. Sie war mit alten Pizzakartons ausgelegt und diente ihm offensichtlich als Schlafstätte.
»Das weißt du doch.« Borchert beherrschte die Kunst, mit einem einzigen Satz eine bedrohlichere Stimmung aufzubauen als so mancher Kinofi lm in neunzig Minuten. »Nein. Was soll das? Ich hab euch nichts getan.«Harry atmete fl ach, versuchte sich so klein wie möglich zu
machen, während Borchert wie ein Boxer seine Schultern lockerte.
Stern hielt es kaum aus und wollte gehen. Allein um das furchtbare Gesicht des Mannes nicht mehr sehen zu müssen. Es sah aus, als hätte er die Nacht kopfüber in einem Brennnesselbeet verbracht. Wie rote Brandblasen zogen sich klei nere und größere Blatternnarben über Stirn, Wange und Hals. Viele von ihnen waren verschorft, andere frisch aufgekratzt. »Wir sind gleich wieder verschwunden, wenn du uns gibst, was wir wollen.«
»Was denn?«
»Wer von deinen Freunden handelt mit Kindern?« »Hör mal, Andi, du weißt doch. Ich mach das nicht mehr. Ich bin da raus.«
»Halt’s Maul und antworte mir: Was weißt du über ein Baby?«
»Was denn für ein Baby?«
»Ein Kleinkind soll am Montag verkauft werden. An so ein geisteskrankes Gesindel wie dich. Hast du in deinem Club darüber was gehört?«
»Nein. Ich schwöre. Damit habe ich nichts mehr zu tun. Ich hab keine Kontakte, keine Informationen. Nada, null. Sorry, ich würde alles sagen, aber ich weiß doch nichts. Mit mir redet keiner mehr, seitdem ich im Knast war. Hab dafür bezahlt, oder?«
Harry sprach in Schüben. Manche Worte kamen ihm schnell, einige nur gedehnt über die Lippen, und Stern fragte sich, ob er diese Störung immer hatte oder nur jetzt, weil Borchert ihn bedrohte.
»Erzähl mir keinen Quatsch.«
»Ehrlich, Andi. Ich lüg dich nicht an. Dich doch nicht. Wissen Sie …«, sein devoter Blick wanderte zu Stern, dessen
Chance auf einen schnellen Abgang damit sank. »Ich hab Scheiße gebaut. Ich dachte, sie ist sechzehn, ehrlich. Ist schon lange her. Aber niemand glaubt mir. Manchmal kommen sie nachts zu mir und schlagen mich zusammen. Sehen Sie das?«
Er öffnete seinen Bademantel und zeigte Stern seinen Brustkorb. Er war über und über mit blau-violetten Blutergüssen übersät. Ohne Röntgenbild war es schwierig zu beurteilen, aber Stern glaubte mindestens eine gebrochene Rippe zu erkennen.
»Das sind die Jugendlichen aus der Gegend. Immer andere. Irgendjemand hat ihnen erzählt, was ich gemacht habe, damals. Sie zerren mich raus, springen mit ihren Stiefeln auf mir herum. Einmal haben sie mir Batteriesäure ins Gesicht gesprüht.«
Stern wich mitleidig und angewidert zugleich einen Schritt zurück, als Harry ihm sein aufgeplatztes Gesicht entgegenstreckte. Nur Borchert blieb ruhig. Auf ihn schienen die schrecklichen Leidensgeschichten wenig Eindruck zu machen. Im Gegenteil. Er lächelte Harry an und hieb ihm mit voller Wucht seine Faust zwischen die Zähne. Die Gewalt des Schlages war so groß, dass der Hinterkopf gegen die Plastikwand des Campingwagens donnerte und dort eine kleine Delle hinterließ.
»Scheiße, nein«,

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