Das Kind
Bayern-Trainingsanzugs. »Aber wir gehen da trotzdem nicht rein.« »Weshalb?«
»Weil ich eine viel bessere Idee habe.«
»Und die wäre?«
»Da drüben.«
Stern sah zu dem großen Lebensmittelgeschäft an der Straßenecke, in dessen Richtung sein Begleiter gerade davonmarschierte.
»Aber klar doch«, rief Robert ihm spöttisch hinterher. »Hab ich völlig vergessen. Hier verkaufen sie ja sogar Babys im Supermarkt.«
Borchert blieb auf dem Mittelstreifen der Straße stehen und drehte sich um.
»Ja. Das tun sie tatsächlich.«
Sein Gesichtsausdruck, seine Körperhaltung und vor allen Dingen der Ton seiner Stimme signalisierten Stern eines ganz deutlich: Borchert hatte keinen Scherz gemacht. 2.
S ie wurden schon im vierten Laden fündig. Der erste Su permarkt hatte zu, obwohl das veränderte Ladenschlussgesetz nun auch Sonntagsöffnungen erlaubte, erst recht wenn ein sportliches Großereignis in der Hauptstadt bevorstand. Im zweiten Lebensmittelgeschäft standen die Türen für Kunden offen, aber hier gab es nur das übliche: Klavierund Spanischunterricht in kleinen Gruppen, eine Mitfahrgelegenheit nach Paris und einen Hasenkäfi g für Selbstabholer. In der Drogerie gegenüber dominierten möblierte Wohnungen, zwei Kühlschränke und Nachhilfestunden das Angebot des Schwarzen Bretts am Ausgang. Borchert war bei einem der Zettel stutzig geworden, der Farbfotografi e eines Kinderwagens, gebraucht abzugeben für nur neununddreißig Euro. Er riss einen der zehn perforierten Schnipsel mit der Telefonnummer ab, grunzte unzufrieden, als er die Vorwahl sah, und sie zogen weiter.
Auf dem Weg zum letzten Geschäft, dem größten und modernsten Verbrauchermarkt der Gegend, wurden sie aus einem vorbeifahrenden Auto heraus von einem Hertha-Fan angepöbelt.
Stern hatte sich jetzt ebenfalls verkleidet und seinen Maßanzug gegen ein langärmliges Torwarttrikot eingetauscht. Sein Gesicht verbarg er wie Borchert unter einer lächerlichen Fußballmütze, mit der er sich wie eine Jahrmarktsattraktion fühlte.
Ein Plastikpenis auf meinem Kopf wäre weniger auffällig,
dachte er sich, als ihn eine alte Frau anstarrte, die gerade ihren Einkauf in einem Leinenbeutel verstaute. »Von dieser Methode hab ich noch nie was gehört, Borchert.«
»Deswegen funktioniert sie ja auch.«
Sie standen neben den Abfalleimern, wo man nach dem Einkauf Verpackungen und alte Batterien entsorgen konnte. Direkt darüber hing wieder eine der typischen Pinnwände mit einem Blätterwald aus privaten Kleinanzeigen. »Ich dachte immer, so was läuft über das Internet ab.« »Tut es auch. Aber in erster Linie, wenn du Bilder, Videos oder getragene Höschen kaufen willst.«
Stern verzog das Gesicht. Aus seiner Erfahrung als Strafverteidiger wusste er, dass die Behörden immer noch meilenweit hinter den professionellen Computerspezialisten der Kinderpornoindustrie hinterherhinkten. Es gab keine länderübergreifende Spezialeinheit, keine festangestellten Computerfreaks, die Websites, Newsgroups oder Foren durchleuchteten. Einige Reviere konnten froh sein, überhaupt einen DSL-Anschluss zu besitzen. Und selbst wenn der Polizei mal ein Coup gelang, reichten die Gesetze nicht aus, um die Perversen zu verhaften.
Erst letzte Woche waren mehrere Kinderschänder aufgefl ogen, nachdem die Beamten Abertausende von Kreditkartentransaktionen im Internet verfolgt hatten. Doch das Ausspähen der Zahlungsvorgänge hatte gegen den Datenschutz verstoßen, und die gewonnenen Beweise waren somit wertlos. Der »Bestseller« auf den beschlagnahmten Festplatten war das Foto eines Neugeborenen mit einem Rentner gewesen. Diejenigen, die sich an den unvorstellbaren Qualen ergötzt hatten, beschäftigten ihre kranken Hirne vermutlich in diesem Augenblick schon wieder in einem Internetcafé.
»Das Netz ist für reale Treffen zu gefährlich geworden«, erklärte Borchert und hob die Farbkopie eines Motorrades an,
unter der sich eine kleine Karteikarte verbarg. »Warum?«
»Derzeit läuft ein Feldversuch. Polizisten klinken sich in einen verdächtigen Chatroom ein und geben sich als junges Mädchen aus. Wenn ein Perverso anspringt, verabreden sie sich mit dem Kerl. Der Drecksack kommt, erwartet eine Sechstklässlerin mit Zahnspange und kriegt stattdessen die Handschellen angelegt.«
»Gute Idee.«
»Ja. So gut, dass die Pädos jetzt was Neues ausprobieren. So was wie das hier.« Borchert löste einen himmelblauen DINA5-Zettel von der Pinnwand.
»Gesucht: Schlafgelegenheit wie Abbildung«,
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