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Das Kind

Titel: Das Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fitzek
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zwischen den beiden Theateraufführungen bestand, in denen er unfreiwillig eine tragische Hauptrolle spielte. Stern spürte ein heftiges Sodbrennen, schluckte zweimal und beobachtete aus den Augenwinkeln heraus Simon, der neben ihm völlig ruhig wirkte. Fast gelassen. Im Gegensatz zu ihm selbst schreckte der Junge nicht zusammen, als die Wohnzimmertür sich öffnete und ein älterer, sehr vornehm wirkender Herr mit einem strahlenden Lächeln den Raum betrat. Der Mann war mit seinen gut sechzig Jahren nicht mehr attraktiv im klassischen Sinne. Das Alter hatte seine ehemals dichten Haare an den Schläfen gelichtet und ein Gitternetz aus dünnen Falten um seinen Mund gelegt. Aber gerade deshalb sah er elegant, fast würdevoll aus. Trotz seiner Kleidung.
»Wie schön, da seid ihr ja.«
Seine Stimme klang warm und freundlich. Passend zu der sympathischen Aura, die der Mann wie einen Schild vor sich hertrug. Er klatschte zweimal anerkennend in die Hände und kam langsam näher, die Augen ausschließlich auf Simon gerichtet. Das Rascheln seines Morgenmantels übertönte das Geräusch des sanften Applauses, der ohnehin kaum hörbar war, da die Hände des Mannes bereits in dicken Latexhandschuhen steckten.
10.
C arina löste ihren Pferdeschwanz und riss sich gleichzeitig
das himbeerrote Stirnband vom Kopf. Borchert hatte ihr die Verkleidung als Joggerin empfohlen. Seiner Meinung nach gab es keine bessere Tarnung, um in der Öffentlichkeit vor möglichen Verfolgern davonzurennen, ohne Aufsehen zu erregen.
Doch im Augenblick fühlte sich der Gummizug wie eine Stahlmanschette an, die um ihren explodierenden Schädel lag.
Was ist passiert? Warum geht Borchert nicht mehr ans Tele-
fon? Wo ist Robert?
Mit jedem ihrer Herzschläge verdoppelte sich ihre Furcht um Simon. Sie wartete noch eine weitere Minute, dann stand ihr Entschluss fest. Sie konnte hier nicht länger untätig sitzen bleiben.
Carina drehte den Schlüssel im Zündschloss herum. Aber wohin soll ich nur fahren?
Sie legte den Rückwärtsgang ein und knallte unsanft mit den Hinterreifen gegen die hohe Bordsteinkante. Egal. Sie sah wieder nach vorne, wollte erst einmal schnell aus der Parklücke scheren, als sich ein gelb-roter Kastenwagen vor ihr in die zweite Reihe schob.
Was zum Teufel …
Carina kurbelte ihr Fenster herunter und brüllte den Mann an, der gerade mit zwei wagenradgroßen Pizzakartons aus dem Lieferfahrzeug stieg.
»Hau sofort ab«, brüllte sie ihn an.
Der junge Student grinste schelmisch, offenbar amüsiert über die hektischen Zornesfl ecken in ihrem Gesicht. Er schenkte
ihr einen Kussmund.
»Nur eine Minute, Süße. Dann bin ich wieder bei dir.« Carina fühlte, wie die Panik ihr den Hals abschnürte. Alles ist erlaubt, erinnerte sie sich an Borcherts Instruktionen, be vor sie sich getrennt hatten. Wir dürfen nur kein Aufsehen erregen.
Doch was sollte sie jetzt tun? Das Heck des Pizzawagens ragte nur eine Reifenbreite in ihre Ausfahrt, aber das reichte aus, um sie vorerst zu blockieren. Nach hinten versperrte ihr eine umzäunte Straßenkiefer den Fluchtweg. Das gibt’s doch nicht …
Carina drückte auf die Hupe, doch der Student winkte nur lässig nach hinten, ohne sich überhaupt umzudrehen. Na schön. Kein Aufsehen erregen.
Sie riss den Schalthebel gegen einen knirschenden Widerstand zurück und schob sich krachend mit beiden Rädern auf den Bürgersteig. Dann legte sie den ersten Gang ein, nahm den Fuß von der Bremse und trat das Gaspedal durch.
»Hey, hey, hey, Lady …«
Der Golf knallte seitlich in die Hintertür des Kastenwagens.
»Bist du denn irre? «, hörte sie den Studenten schreien, der gerade an einer Haustür klingeln wollte, aber nun erst mal seine Kartons fallen ließ.
Entsetzt starrte er auf sein Lieferfahrzeug, das jetzt etwas schräg in die Fahrbahn ragte. Die Wucht des Zusammenpralls hatte die Scheibe der hinteren Ladeklappe zerbersten lassen.
Ja, bin ich, dachte Carina und wiederholte den Vorgang.
Schon nach dem zweiten Aufprall auf den mittlerweile völlig zerbeulten Kotfl ügel hatte sie das Hindernis aus dem Ra dius getrieben, den sie zum Ausparken benötigte. »Halt! Stopp!«
Mit aufheulendem Motor jagte sie die Argentinische Allee hoch, ohne auf den brüllenden Pizzaboten zu achten, der sich wie ein Kreisel in alle Richtungen drehte und nach Zeugen suchte, die diesen unglaublichen Vorgang beobachtet hatten.
Den Schleifgeräuschen nach musste auch ihr Auto etwas abbekommen haben, doch das hielt sie nicht ab,

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