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Das Kindermädchen - Herrmann, E: Kindermädchen

Das Kindermädchen - Herrmann, E: Kindermädchen

Titel: Das Kindermädchen - Herrmann, E: Kindermädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Herrmann
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in die Küche.
    »Wo ist Marie-Luise?«
    Ich bekam keine Antwort. Ich versuchte es auf ihrem Handy, aber ich bekam nur die Mailbox an den Apparat. Ich hinterließ eine kurze Nachricht, dass sie mich zurückrufen sollte, falls sie nicht diejenige war, die Milla Blumen geschickt hätte. Dann machte ich mich daran, meine Briefe und Eingaben selbst zu schreiben. Kevin kam zurück und versprühte schlechte Laune.
    »Hat sie gesagt, wo sie hingegangen ist?«
    »Bin ich ihr Kindermädchen?«
    Er sah nicht vom Computer auf. Ich ging um den Schreibtisch herum. Kevin konnte die Seite nicht schnell genug wegklicken. Die Homepage einer militanten Gruppe, die zur Stürmung irgendeines Weltwirtschaftsgipfels an irgendeinem schönen Fleckchen Erde aufrief.
    »Na, Lust auf Urlaub?«
    Kevin tippte lustlos in seinem E-Mail-Konto herum.
    »Was wird das hier eigentlich den ganzen Tag?«

    »Wieso?«, fragte er.
    »Ich brauche jemanden, dem ich ein paar Briefe diktieren kann. Also los.« Ich ging wieder zu meinem Platz zurück.
    Kevin starrte mich sprachlos an. Dann schüttelte er den Kopf. »Nicht mit mir.«
    »Ich sehe niemand anderen. Erstes Schreiben an die Staatsanwaltschaft des Landes Berlin, Kriminalgericht Moabit et cetera pp., betrifft Aktenzeichen Nummer … Was ist?«
    Ich sah hoch. Kevin saß mir mit verschränkten Armen gegenüber und grinste mich bloß an. »Ich bin keine Tippse.«
    »Soweit ich weiß, machst du hier ein Praktikum. Die korrekte Abwicklung eines anwaltlichen Schriftverkehrs gehört zu den Aufgaben, die in einer Kanzlei nun mal zu machen sind. Du kannst auch gerne Tee kochen und weiterhin deine Busreisen nach Davos planen, aber erst, wenn das hier erledigt ist.«
    »Du hast mir gar nichts zu sagen.«
    Ich sah ihm tief in die Augen. »Doch. Zwei Dinge. Schreib oder geh.«
    »Da hat Marie-Luise wohl auch noch ein Wort mitzureden.«
    »Sie wird sich den Ausführungen ihres Vorredners in vollem Umfang anschließen. Sind wir jetzt so weit?«
    Kevin starrte mich an. Dann wandte er sich an seinen Computer, und ich diktierte. Ich diktierte ihm den gesamten liegengebliebenen Schriftverkehr der letzten Tage, und das war nicht wenig. Nach zwei Stunden war der Junge am Ende. Zwischendurch korrigierte ich seine Tippfehler und brachte ihm den Seitenaufbau bei. Ein Schreiben löschte ich komplett, nur um ihn zu ärgern. Anschließend unterschrieb ich und wies ihn an, die fertige Post gleich zum nächsten Briefkasten zu bringen.
    »So«, sagte ich fröhlich, »das machen wir jetzt jeden Tag so.«
    Kevin klebte die Briefumschläge zu. »Warum bist du eigentlich hier?«, fragte er mürrisch.
    »Warum nicht?«

    »Du passt nicht hierher. Das ist alles so …« Er leckte eine Briefmarke an und klebte sie auf einen Umschlag. »So kalt«, beendete er den Satz.
    Ich sah ihm zu, wie er die restlichen Umschläge frankierte. Langsam kam ich in das Alter, in dem die Wendung »Er könnte mein Sohn sein« rein biologisch passen könnte. Er trug die Haare daumenlang und verwuschelt, ein topmodischer Out-ofbed-Schnitt. Sein T-Shirt trug den korrekten Aufdruck der angesagten Labels, seine Turnschuhe hatten mindestens hundert Euro gekostet. Ein hübscher Junge. Er hatte alles, wovon ich in seinem Alter nur geträumt hatte. Doch der Trotz verfinsterte sein Gesicht und ließ ihn mürrisch und verschlagen aussehen.
    »Kalt?«, fragte ich. »Das ist ein völlig korrekter, sachorientierter Schriftwechsel. So geht es zu in der Welt der Gerechtigkeit.«
    »Ach, du hältst dich für gerecht?«
    »Nein«, erwiderte ich. »Nicht im Mindesten. Aber man braucht einen gemeinsamen Nenner, um über Schuld und Unschuld, Recht und Unrecht zu befinden.«
    »Du würdest wohl jeden verteidigen, was?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Nein, nicht jeden. Ich weiß nicht, welche Richtung du eines Tages einschlagen wirst, falls du vorhast, dein Studium zu beenden. Aber wenn du dich entscheidest, Strafverteidiger zu werden, wirst du nicht nur für die unschuldig Verfolgten in den Ring steigen. Du wirst Mörder haben, Vergewaltiger, Drogendealer, den ganzen Abschaum.«
    »Steuerhinterzieher, Anlagebetrüger und das ganze Berliner-Bank-Gesocks. Ich weiß doch, wo du vorher warst. Es kotzt mich an. Du kotzt mich an.«
    Kevin musste noch viel, viel lernen.
    Als er gegangen war, versuchte ich, Sigrun zu erreichen. Sie war nicht in ihrem Büro. Dann rief ich meine Mutter an und sagte ihr, dass mangels Auto vorläufig nicht mit einem Ausflug nach Reinickendorf zu rechnen war.

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