Das Kindermädchen - Herrmann, E: Kindermädchen
Rückübertragung hatte ich noch gar nicht richtig angefangen. Ich erinnerte mich, dass ich die Grundbuchauszüge angefragt hatte. Mehr auch nicht. Vielleicht hatte Connie sich auch einfach nur zeigen und bewundert werden wollen. Eine neue Connie mit einem neuen Auto.
Ihr kennt euch, hatte sie gesagt. Er weiß nicht, dass ich hier bin. Würde Connie irgendetwas tun, das einen Schatten auf ihre neue Beziehung werfen könnte?
Der Lärm auf dem Hof nahm zu. Mittlerweile standen dort Bänke und Biertische, eine improvisierte Bühne war noch im Aufbau. Es hatten sich rund fünfzig Leute versammelt, die ich noch nie im Haus gesehen hatte und denen man die wilde Entschlossenheit ansah, sich hier die Nacht um die Ohren zu schlagen.
Ich machte die Fenster zu. In Marie-Luises Büro hing ein schwacher Geruch nach Rasierwasser. Das war genau das passende Kontrastprogramm für meine Nase. Ich ließ ihr Fenster offen und ging zur Tür. Mein Handy klingelte.
»Was’n für Blumen?« Marie-Luise, betrunken.
»Wo bist du?«
»Da, wo ich ganz bestimmt nicht sein sollte.« Sie hatte große Mühe, den Satz deutlich auszusprechen. »Kannst du kommen, bevor ich irgendeinen Scheißblödsinn mache?«
»Wo bist du?«, fragte ich noch einmal.
»In der So-Sophienstraße. In den Kunsthöfen. Ich bring sie um. Ich bring sie alle um!«
Das klang nach sofortigem Eingreifen. Ich lief hinunter in den Hof. Kevin saß auf einer umgedrehten Bierkiste in einer Ecke des Hofes. Neben ihm stapelten sich die Briefe, die nun nicht mehr den heutigen Poststempel erhalten würden. Er amüsierte sich mit einem kleinen Wesen in Armeehosen, das sich erst nach genauem Hinsehen als weiblich identifizieren ließ. Ich wusste, welches sein Fahrrad war. Es war nicht angeschlossen. Sein Pech.
Obwohl ich wie verrückt strampelte, brauchte ich fast zwanzig Minuten bis zur Sophienstraße. Die Kunsthöfe waren ein sehr schick renoviertes Klinkergebäude mit einer Passage zur Gipsstraße. Dort hatten sich ein Deli, mehrere absurde Designer, eine Keramikwerkstatt mit Exponaten von bezaubernder Einfalt und eine Galerie niedergelassen. In der Galerie wurde gefeiert. Vor ihr, auf den Stufen, eine Flasche Wein in der Hand und zwei leere neben sich, fand ich sie.
Ich hielt direkt vor ihr. Sie bemerkte mich erst, als ich Kevins Fahrradklingel betätigte, sah hoch und versuchte ein tränenverschmiertes Lächeln.
»Sie is da drin.«
Ich musste nicht fragen, wer. Ich stellte das Fahrrad an die Hauswand und setzte mich neben sie. Sie wollte mir die Flasche reichen, aber ich lehnte dankend ab. Warmer, billiger, eingespuckter Weißwein an einem heißen Sommerabend war nicht meine Sache. »War wohl nicht so gut heute Nachmittag?«
Sie blinzelte mich an. »Was meinst du? Den Fick oder das, was danach kam?«
»Kam denn noch was danach?«
Sie stierte in ihre Flasche und pustete leicht hinein. »Wir hatten ein Beziehungsgespräch. Ein Beziehungsbeendigungsgespräch. Eine einstweilige Verfügung auf sofortige Unterlassung jedweder Kontaktaufnahme.«
»Und da besuchst du die Vernissage seiner Frau?«
»Is ja seine Frau. Und nicht er.«
Das war Marie-Luises Logik. Durch die Tür sah ich ein überwiegend schwarz gekleidetes Publikum, das sich in Grüppchen vor den Bildern arrangiert hatte. Die Bilder konnte ich von hier aus kaum erkennen, sie sahen sehr abstrakt, wild und bunt aus. Nicht mein Geschmack. Eine Frau Anfang fünfzig, sehr elegant, mit einer unglaublich wallenden eisgrauen Haarmähne wuselte in geschicktem Slalom durch die Menschen, plauderte hier, lachte da und warf verstohlene Blicke auf das heulende Elend vor ihrer Tür.
»Ist sie das? Die mit den grauen Haaren?«
Marie-Luise nickte. »Sie hat gesagt, ich soll verschwinden. Ich bin nicht eingeladen. Ich passe nicht hierher.«
»Wahrscheinlich weiß sie, wer du bist.«
Marie-Luise zog die Nase hoch. »Feige Sau. Umso schlimmer. Ich gehe rein und sage ihr jetzt die Meinung. Vor allen Leuten! «
Sie erhob sich schwankend, wurde von mir aber ziemlich brutal wieder auf die Stufen geholt.
»Das tust du nicht. Sie kann nichts dafür, dass ihr Mann sich nicht entscheiden kann.«
In diesem Moment kam er um die Ecke. Er stutzte. Dann eierte er in seinem schlingernden Gang langsam und vorsichtig auf uns zu.
»Was machst denn du hier?«, fragte er.
Marie-Luise steckte nur den Zeigefinger in den Flaschenhals und schlug mit ihr auf die Klinker stufen. Schmiedgen blickte unauffällig in die Galerie. Seine Frau stand
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