Das Kindermädchen - Herrmann, E: Kindermädchen
wer was bekommt. Das seid ja eigentlich nur ihr beide.«
»Ich will mir das nicht länger anhören«, schnaufte Hüthchen empört. Sie stemmte sich hoch und suchte die Waschräume auf.
Meine Mutter nahm meine Hand. »Hier. Nimm.«
Sie schob etwas über den Tisch. Widerwillig löste ich meinen Blick von den Gummibäumen neben dem Kuchentresen und sah auf eine alte Schwarzweißfotografie. Mein Vater, lächelnd, mit einem pausbäckigen Kind auf dem Arm, das lachend nach seinen Ohren griff.
Ich nahm sie hoch und betrachtete sie, dann reichte ich sie meiner Mutter zurück.
»Ich will das nicht.«
»Du musst ihn ja nicht anschauen. Nur behalten. Du hast nichts mitgenommen damals.«
Ein draller Arm schnellte von hinten über meine Schulter und nahm mir das Foto ab.
»Hildegard!«, trompetete Hüthchen. »Das war er also? Und der Kleine, sind Sie das?«
»Ja«, knurrte ich.
»Ein niedlicher Junge waren Sie. Ja, so verändern sich die Leute.« Sie plumpste in ihren Stuhl und hielt mir das Foto entgegen. Wohl oder übel steckte ich es ein.
Dann winkte ich der Kellnerin zu, die Rechnung zu bringen. Ich machte mein Handy wieder an und hörte zwei Nachrichten ab, die inzwischen eingegangen waren.
»Marie-Luise hier.« Ihre Stimme hallte, als spräche sie auf der Toilette. »Mir ist kotzübel. War gestern noch irgendwas? Ich habe Milla keine Blumen geschickt. Zumindest kann ich mich daran nicht erinnern. Ich fahre jetzt zum Gericht, wenn ich es schaffe …«
Es folgte ein entsetzliches Geräusch, dann die nächste Nachricht.
»Lehnsfeld, Aaron von Lehnsfeld. Tut mir leid, dass ich Ihnen jetzt Unannehmlichkeiten bereiten muss. Sie können natürlich noch zahlen. Bis heute Abend. Dann wird es ungemütlich.«
Die Kellnerin brachte den Beleg. Ich gab ein unüblich hohes Trinkgeld und forderte die Damen zur Eile auf. Zu Hause brachte ich noch die Reisetaschen hoch.
»Da ist Post für dich«, sagte meine Mutter. Sie gab mir mehrere Umschläge. Meine Adresse bei Sigrun war durchgestrichen und stattdessen die meiner Mutter angegeben. Es waren Schreiben meines Steuerberaters, der Telekom und ein dicker Umschlag vom Grundbuchamt. Das mussten die Unterlagen für den Rückübertragungsfall sein. Es dauerte einen Moment, bis ich darauf kam, warum er an meine Privatadresse gegangen war. Ich hatte beide auf meinen Visitenkarten stehen. Vermutlich hatte sie jemand auf dem Amt verwechselt.
Um eins war ich endlich im Büro. Wenig später tauchte Kevin auf.
»Irgendeine Sau hat mir mein Fahrrad geklaut.«
Ich sah überrascht hoch. »Nicht möglich! Das tut mir aber leid.«
Kevin startete den Computer. Ich beschloss, am Abend noch einmal in den Kunsthöfen vorbeizuschauen. Wenn es noch dort stand, sollte er es wiederhaben.
»Die Post ist weg?«
»Ja.«
»Gestern oder heute?«
»Gestern«, log er, ohne den Kopf zu wenden.
Ich nickte. »Gut. Dann können wir ja gleich weitermachen.«
»O Mann! Ich hab auch noch was anderes zu tun!«
»Was denn?«, fragte ich ihn. Dann diktierte ich einen Brief an das zentrale Mahngericht. Als wir fertig waren, musste Kevin erst mal rauchen und verschwand in die Küche.
Ich öffnete den Umschlag des Grundbuchamtes. Ein alter Bauplan, eine Zeichnung neueren Datums und mehrere ältere Auszugskopien. Ich sah mir das Haus genauer an.
Es war in der typischen Grünauer Villenkoloniebauweise errichtet, mit einem hübschen runden Turm und einer ländlich wirkenden Holzveranda. Den Umbauten in den Fünfzigern war die Veranda zum Opfer gefallen, dafür hatte man einen flachen, bungalowartigen Anbau hinzugefügt. Der Keller war vergrößert worden, indem man eine Zwischenwand herausgerissen hatte.
Ich sah auf das Datum. Es hätte genauso gut 1945 wie 1955 heißen können. Aber es war gestempelt von der Baukammer der DDR. Also hatte alles seine Richtigkeit.
Warum waren Connie diese Unterlagen so wichtig gewesen? Jeder konnte sie sich beschaffen. Sie lagen reihenweise in den Archiven von mindestens einem halben Dutzend Behörden. Ein Anruf, und man konnte sie einsehen.
Ich verschloss den Umschlag wieder und verstaute ihn in meinem Schreibtisch. Mit den Plänen konnte ich jetzt nichts mehr anfangen. Connie hatte Recht. Sie gehörten mir nicht. Sie gehörten in die Kanzlei.
Marie-Luise wankte kreidebleich herein. Sie ließ sich auf Kevins
Sessel fallen und legte den Kopf auf die Arme. »Ein Bett«, röchelte sie. »Ein Königreich für ein Bett und ein Alka-Seltzer.«
Ich reichte ihr die
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