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Das Kindermädchen - Herrmann, E: Kindermädchen

Das Kindermädchen - Herrmann, E: Kindermädchen

Titel: Das Kindermädchen - Herrmann, E: Kindermädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Herrmann
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Schritte nebenan.«
    Ich legte die Reisetaschen auf das Unkraut und folgte den beiden mit der Schubkarre. Ottos Grab sah etwas besser aus.
    »Ob sie das wohl macht?«, fragte Hüthchen.
    Mutter schüttelte entschieden den Kopf. »Die hat sich ja selbst
zu Lebzeiten kaum um ihn gekümmert. Das war bestimmt der Gärtner.«
    »Aber hier, schau mal …«
    In einer Stilvase steckte ein halb verwelkter Strauß rote Rosen. Otto ruhte im Frieden des Herrn seit knapp drei Jahren hier. Hüthchen riss den Strauß aus der Vase und warf ihn auf die Schubkarre.
    »Das ist ja unglaublich. Betrogen hat sie ihn, und jetzt rote Rosen. Eine Unverschämtheit.«
    Ich hieß die Damen, zur Seite zu treten, und begann mit den Aufräumungsarbeiten. Meine Hose war ohnehin nicht mehr zu retten, und meine Schuhe waren erdverkrustet. Mutter und Hüthchen machten sich auf den Weg, um frisches Wasser in die Gießkanne zu füllen. Ich rupfte einige Halme aus und kratzte etwas Erde von der Grabeinfassung. Ich verstand das hier nicht. Ich hatte eine Bridge-Runde erwartet. Fröhliche, ältere Leute. Ein netter Vormittag. Ich hatte vor, einen Spaziergang zu machen und sie anschließend in die Konditorei einzuladen. Jetzt putzte ich Gräber. An Otto erinnerte ich mich noch. Er war ein gemütlicher runder Mann gewesen, der mir jedes Mal freundlich zugelächelt hatte. Kein Mann, an dessen Grab man noch zur Eifersucht neigen würde. Obwohl …
    Mutter und Hüthchen kamen wieder. Die Gießkanne war schwer, und ich stand auf, um sie ihnen abzunehmen. Ich war gespannt, welche Überraschungen noch auf mich warteten.
    Nach Otto kam Martha an die Reihe, die kürzlich Verschiedene, und zum Schluss Gustav. Es war elf Uhr vorbei, als wir endlich fertig waren. Mein Rücken schmerzte, mein Anzug war ein Fall für die Spezialreinigung, aber Mutter und Hüthchen hatten blitzende Augen und saßen schnatternd neben mir auf einer Bank. Direkt gegenüber neigte sich ein Engel aus Sandstein kniend über seine betenden Hände.
    »Bridge«, sagte ich in eine kurze Gesprächspause hinein.

    Mutter und Hüthchen sahen mich an.
    »Warum hast du mir nichts gesagt? Alle sind tot. Heidemarie, Otto, Martha und Gustav. Hier liegt deine gesamte Bridge-Runde. Alle deine Freunde. Ich habe einige von ihnen gekannt. Warum hast du nie etwas davon erzählt?«
    Meine Mutter schwieg und betrachtete die Blütenpracht der umliegenden Gräber. »Wann denn?«, sagte sie schließlich leise. »Du warst nie da. Du hattest nie Zeit.«
    Einige Spatzen kamen herangeflattert und sahen zu uns hinauf.
    Mutter kramte in ihrer Handtasche und fand einen abgepackten Keks, wie er in drittklassigen Konditoreien zum Kaffee gereicht wird. Sie riss das Cellophan ein und warf den Spatzen die Krümel hin.
    »Dass Martha gestorben ist, hast du gewusst.«
    Ich beobachtete die Vögel, wie sie sich um die Krumen stritten. Genauso häppchenweise teilte meine Mutter die Wahrheit zu. In kleinen Krümeln, damit sie niemandem im Halse stecken blieb.
    Ich würde mich verspäten. Aber das war nicht so wichtig. Wir spazierten zum Ausgang und verfrachteten die Reisetaschen in den Kofferraum. Dann wendete ich den Wagen. Vor einem Café hielt ich an. Hüthchen bestellte Frankfurter Kranz, Mutter Käsekuchen. Ich nahm ein Croissant. Dazu gab es Kaffee.
    Wir unterhielten uns darüber, wie schön die Gräber jetzt aussahen. Mutter und Hüthchen brachen noch einmal einen Streit vom Zaun, ob Hibiscus oder Rhododendron die robustere Pflanze sei. Wir plänkelten uns durch den heißen Sommermittag. Es hätte nicht viel gefehlt, und Hüthchen hätte die Skatkarten herausgeholt.
    »Ich will kein Grab«, sagte meine Mutter mittendrin. Dann trank sie ungerührt ihre Kaffeetasse aus und schenkte sich aus Hüthchens Kännchen noch einen Schluck nach.
    »Und warum nicht?«, fragte ich.

    Sie schüttelte sich. »Wenn ich mir vorstelle, wie der Efeu langsam alles zudeckt … Das muss nicht sein. Ich will eine schöne, anonyme Urnenbestattung.«
    Der letzte Bissen Frankfurter Kranz sank wieder von Hüthchens weit geöffnetem Mund auf den Teller. »Du willst ins Feuer? «
    »Feuer reinigt«, erwiderte meine Mutter. »Ich will nicht langsam verfaulen. Du vielleicht?«
    Hüthchen schob den Teller ein wenig von ihrem Busen weg.
    »Ich weiß nicht. Ich habe mir darüber noch keine Gedanken gemacht. Und Sie?«
    »Ich? Ich auch nicht.«
    »Das solltest du aber«, sagte Mutter. »Ich habe alles aufgeschrieben. Es liegt in meiner Nachttischschublade. Auch,

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