Das Kindermädchen - Herrmann, E: Kindermädchen
Begrüßungsfloskeln auf.
»Sie haben einem Bekannten zweitausend Euro geboten. Ich möchte wissen, wofür.«
Am anderen Ende der Leitung hörte ich sein pfeifendes Atmen. Dann fiel der Groschen. »Die Russin? Wer sind Sie?«
»Wir kennen uns, das reicht. An welchen Informationen sind Sie interessiert?«
»Hören Sie, ich bin gerade in der Redaktionskonferenz. Ich kann jetzt nicht reden. Wie wäre es, wenn wir uns heute Mittag treffen?«
Wir machten einen Termin am Hackeschen Markt aus. Ich hatte kaum aufgelegt, als Marie-Luise zurückkam. Sie sah müde aus, was in Anbetracht der Ereignisse der letzten Nacht kein Wunder war.
»Ich habe versagt. Auf der ganzen Linie.« Sie setzte sich, stützte die Arme auf die Ellenbogen und legte sich die Hände vors Gesicht. »Die Staatsanwaltschaft bleibt bei ihrer Anklage, und die Kleine bleibt in U-Haft. Herzlichen Glückwunsch, Frau Hoffmann.«
»Es tut mir leid. Was ist passiert?«
Sie holte ihre Zigaretten heraus. Erst nachdem sie sie angezündet und tief inhaliert hatte, sah sie mich an.
»Hör zu, du Penner, mach, dass du hier rauskommst, und lass dich nie wieder blicken!«
Ich hätte das Fenster nicht öffnen sollen. Eine kreischende Frauenstimme, der ein undeutliches Brummen folgte. Es musste aus dem vierten Stock des Gartenhauses kommen. Wer hier wohnte, bekam alles frei Haus: Konzerte, Ehedramen, amerikanische Familienserien …
»Fick dich doch selbst, ey, hörst du? Fick dich! Fick dich!«
… auch gut gemeinte Ratschläge.
Ich schloss das Fenster wieder.
Marie-Luise holte die Unterlagen aus ihrer Aktenmappe.
»Ich bin keine gute Prozessanwältin. Den Sprung schaffe ich nie. Ich bin zu parteiisch, ich habe keinen Abstand. Ich mach einfach wieder in Familien- und Arbeitsrecht.«
»Komm schon. Von einer geplatzten Vorverhandlung geht die Welt nicht unter.«
Marie-Luise ging im Zimmer auf und ab. Dann drückte sie die Zigarette im Papierkorb aus, was ein ziemlich hässliches Brandloch hinterließ.
»Ich bin nicht so wie du. Ich kann Schicksale nicht als eines unter vielen abtun. Du schaust einmal auf die Akte und zackzack! – da ein Loch, dort eine Finte, hier ein bisschen drehen, da ein bisschen handeln –, ich kann es nicht! Du lässt es nicht an dich ran, und deshalb bist du besser. Da.«
Sie warf die Akte auf den Tisch und wollte das Zimmer verlassen. In drei Schritten war ich bei ihr. Ich fasste sie an den Schultern und drehte sie zu mir um.
»Du hast vollkommen Recht. Du bist nicht wie ich, und auch nicht wie Schmiedgen. Richtig?«
Sie sah mir nicht in die Augen. »Ich hab mich da in was verrannt. Er war so überwältigend. Er hat gesprüht bei seinen Plädoyers, wie in Flammen. Wie eine Siebzehnjährige habe ich neben ihm gestanden und zu ihm aufgesehen. Aber was ich nicht bemerkt habe, ist die Show, die dahintersteckt.«
Ich führte sie zurück zu ihrem Stuhl. Dann nahm ich die Akten und hielt sie ihr entgegen.
»Du wirst es auf deine Weise schaffen, ich auf meine. Schluck diese Niederlage runter, und mach weiter.«
Marie-Luise nahm sie und steckte sie in die Aktentasche.
»Hast du übrigens heute Abend schon was vor?«, fragte ich sie.
»Nein«, antwortete sie. »Wird das ein Date?«
»Eines mit Taschenlampe und Turnschuhen. Nach Einbruch der Dunkelheit.«
»Grünau?« Sie dachte nach. »Ist das nicht gefährlich? Vielleicht ist da eine Alarmanlage oder ein aufs Töten dressierter Dobermann.«
»Freund«, sagte ich nur.
Marie-Luise musste lachen. »Richtig. Okay. Lass es uns versuchen.«
In diesem Moment erschien Kevin. In der Hand hielt er ein Papier, mit dem er vor unseren Nasen wedelte.
»Ich hätte hier was, das euch interessieren könnte.«
Dabei grinste er von einem Ohr zum anderen, was ihn sehr sympathisch wirken ließ.
»Was ist das?«, fragte ich.
Aber Kevin war schon wieder draußen im Flur. »Erst der Tee, dann die Verhandlungen!«, rief er uns zu. Wir folgten ihm.
Kevin setzte gerade den Wasserkessel auf.
»Habt ihr schon mal was vom Heimtückegesetz gehört?«
»NS-Justiz?«, fragte ich.
Kevin nickte. »Wurde hauptsächlich vom so genannten Sondergericht verhandelt. Wehrkraftzersetzung, Defätismus und so weiter. Ihr lasst mich da ganz schön im Dreck wühlen. Hibiscus, Yogi oder kenianische Vanille?«
»Hibiscus«, antwortete Marie-Luise. »Und?«
»Minderschwere Fälle hat der Oberreichsanwalt genannte Nazi an den Generalstaatsanwalt abgegeben. Der delegierte sie an die Hochverratssenate der einzelnen
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