Das Kindermädchen - Herrmann, E: Kindermädchen
Wasserschutzpolizei.«
Das Motorboot fuhr eine schneidige Kurve und setzte zur Verfolgung an. Wir hatten gerade die Mitte des Sees erreicht.
»Die Polizei ist nicht schnell genug hier. Sehen Sie das Boot? Es hält genau auf uns zu.«
Der Kapitän drehte sich um. »Teufel«, murmelte er. Dann griff er zum Sprechfunkgerät. »Torsten, wach mal auf. Torsten!«
Es knatterte. Dann hörte ich eine verschlafene Stimme. »Jaaa?«
Der Kapitän warf mir einen feindseligen Blick zu. Dann hielt er sich das Mikrofon an den Mund. »Glaub es jetzt, oder glaub es nicht. Wir sind gerade beschossen worden und werden jetzt verfolgt. Siehst du das Motorboot?«
Knattern. »Ja.«
»Dann setz deinen Arsch in Bewegung.«
»Wer ist Torsten?«, fragte ich.
»Er fährt das Tankschiff«, knurrte der Kapitän.
Die Passagiere kauerten noch immer auf dem Boden. Zwei Fahrräder waren umgefallen. Ein etwa siebenjähriges Mädchen hockte daneben. Eine mütterlich wirkende ältere Dame hinter ihr hatte den Arm um das Kind gelegt und ließ den Kapitän und mich nicht aus den Augen. Das Mädchen schien eher neugierig.
»Ist das eine Verfolgungsjagd?«, fragte sie.
»So ähnlich«, antwortete ich.
»Sind sie hinter dir her?«
Ich nickte. Das Motorboot war schnell. Es lag nur noch fünfzig Meter hinter uns. Die Fähre gab ihr Bestes, doch der Dieselmotor reichte einfach nicht. Sie kamen immer näher. Wir hatten zwei Drittel des Sees hinter uns. Ich konnte die Anlegestelle auf
der anderen Seite am Wendenschloss erkennen, aber nirgendwo einen Torsten.
»Drehst du einen Film?«
»Nein«, antwortete ich. »Das ist echt.«
»Warum sind sie hinter dir her?«
»Weil ich etwas weiß, das sie ins Gefängnis bringen wird.«
Die Frau verschloss den Mund des Kindes mit der Hand. »Sei still.«
Ich beobachtete nervös, wie langsam die Fähre vorankam und wie schnell unsere Verfolger aufschlossen.
»Leg dich hin«, sagte ich zu dem Mädchen, keine Sekunde zu früh. Wieder schlug Blei auf Eisen. Sie hatten auf gut Glück einen Schuss abgegeben. Alle duckten sich.
»Na endlich!«, rief der Kapitän. Ein längliches, orangeblaues Lastboot verließ unendlich langsam den Kai und hielt auf uns zu.
Das Motorboot hinter uns bäumte sich auf und raste auf die rechte Seite der Fähre.
»Runter!«, schrie ich. Wieder warfen sich alle auf den Boden. Der Kapitän ging in Deckung. Was jetzt auf uns niederprasselte, war stärkere Munition. Einige Kugeln durchschlugen die dünne Wand der Passagierkabine. Niemand kam zu Schaden, aber die ältere Frau hatte sich über das Kind geworfen und schrie: »Aufhören! Aufhören!«
Der Kapitän steuerte vom Boden aus auf gut Glück zum anderen Ufer. Das Motorboot schoss an uns vorbei und fuhr einen weiten Bogen.
»Sie kommen wieder«, brüllte ich gegen den Lärm der Motoren an. Der Lastkahn bewegte sich in Zeitlupe auf uns zu. Er war noch gut zwanzig Meter entfernt. Das Motorboot machte kehrt. Ich konnte mehrere Gestalten auf dem Deck erkennen. Zwei hatten Waffen im Anschlag. Ihr Boot hielt einen Moment auf der Stelle, als ob es seine PS sammeln wollte. Dann röhrte es auf und schoss auf uns zu.
In diesem Moment erreichte der Lastkahn die Fähre. Er schob sich vor uns. Ein junger Mann stand am Steuer. Er starrte zu dem für uns nicht mehr sichtbaren Motorboot hin und wendete sein Schiff. Das Motorboot schoss wie ein Pfeil an uns vorbei. Eine Feuergarbe ging auf uns nieder. Doch der Kahn drehte sich im Kreis, so dass wir wieder von seinem Windschatten geschützt wurden. Das Ufer lag in dreißig Meter Entfernung. Wir hörten den Motor ihres Bootes aufheulen – und absterben. Eine Sirene jaulte am oberen Ende des Sees.
»Hier spricht die Wasserschutzpolizei«, kam eine Lautsprecherstimme aus der Dunkelheit. »Stellen Sie sofort das Feuer ein!«
Das Motorboot schoss an uns vorbei in die entgegengesetzte Richtung und verschwand.
»Junge, Junge«, stöhnte der Kapitän. Er nahm die Mütze ab und wischte sich über die Stirn. »So was habe ich noch nicht erlebt.«
Das Boot der Wasserschutzpolizei kam näher. Für mich gab es jetzt nur eine Möglichkeit.
»Entschuldigen Sie bitte.«
Ich stieß den Kapitän aus der Kabine und verriegelte sie von innen. Dann drückte ich auf das Pedal und griff zum Lenkrad.
»He! Das können Sie nicht machen!«
Wir lagen immer noch im Schutz des Lastkahns. Ich gab Gas. Die Fähre tuckerte los, am Müggelheimer Ufer entlang. Ich suchte nach einer geeigneten Stelle, an der ich mich von
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